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Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung

Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung

Titel: Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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gehalten. Wir sind eine sehr nette Truppe hier. Nur fand ich es so betrüblich, so kühl abzureisen. Ich hoffe, daß alles wieder in Ordnung kommt, wenn ich nach Hause komme. Ich fand es traurig, so abzureisen. Wir haben es hier sehr gemütlich so alle zusammen. Es fällt mir nicht mehr viel ein, was ich noch schreiben könnte. Nun, lieber Mann, habe ich nicht mehr viel zu schreiben, und ich hoffe, daß ich in einer Woche wieder zu Hause bin, und ich hoffe auch, daß die Behaglichkeit wiederkehrt. Nun, lieber Mann, in Gedanken bin ich bei dir, einen dicken Kuß von deiner
    dich noch liebhabenden Frau«
    Zuallererst rührt einen die Wiederholung. Ihr Gedächtnis läßt ihr offenbar nur ein sehr kleines Zeitfenster offen, alles, was vorbeigeglitten ist, taucht in weniger als einer Minute wieder auf. Vielleicht darf man es noch nicht einmal als Fenster bezeichnen, es ist ein Spalt von höchstens zwei, drei Sätzen. Rührend ist auch, was sich wiederholt. Warum mußte die Nadel ausgerechnet in einer so unglücklichen Rille hängenbleiben? Ein paar Rillen früher, und sie hätte vielleicht noch in bester Harmonie mit ihrem Mann gelebt, ein paar Rillen weiter, und der Streit wäre schon wieder beigelegt. Oder ist dieses Bild ihres Gedächtnisses naiv, und hat sich ihrer desorientierten Stimmung eine passende Erinnerung zugesellt?
    Vielleicht ist es noch nicht einmal das, ist der kühle Abschied von ihrem Mann überhaupt keine Erinnerung, genauso wenig wie ihr Aufenthalt im Pflegeheim Urlaub ist. Sie ist ohne ihren Mann dort, ausschließlich in Gesellschaft alter Leute, aus irgendeinem Grund, den sie selbst nicht versteht, ist sie unruhig; das muß doch eine Seniorenreise sein, zu Hause wartet ihr Mann auf sie. Was auf dem Papier erscheint, sind Fetzen aus der Vergangenheit, die so oft wiederholt werden, bis das Papier voll ist und sie mit einem dicken Kuß Abschied nehmen kann.
    Literatur
    G. Achterberg, Verzamelde gedickten, Amsterdam 1963.
    A.D. Baddeley, Human memory. Theory and practice, Hove 1990.
    H.P. Bahrick, »Semantic memory content in permastore: 50 years of memory for Spanish learned in school«, Journal of Experimental Psychology: General, 113 (1984), 1-29.
    R. Brown & D. McNeill, »The     W. James, The principles of psychology, New York 1890.
    E.F. Loftus & G.R. Loftus, »On the permanence of stored information in the human brain«, American Psychologist, 35 (1980), 409-420.
    Th. Ribot, La memoire comme fait biologique, Revue Philosophique, 9 (1880), 516-547.
    Th. Ribot, Les maladies de la memoire, Paris 1881.
    D. Schacter, Searching for memory: the brain, the mind, and the past, New York 1996.
    A. Sunderland, J.E. Harris & A.D. Baddeley, »Do laboratory tests predict everyday memory«, Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 22 (1983), 341-357. W.A. Wagenaar, »My memory: a study of autobiographical memory over six years«, Cognitive Psychology, 18 (1986), 225-252.

Ich sah mein Leben wie einem Film an mir vorüberziehen
    1836 veröffentlichte der deutsche Physiker und Philosoph Gustav Fechner (1801-1887) eine tröstliche Theorie über das, was uns nach dem Tod erwartet. Er vertraute seine Auffassungen dem Büchlein vom Leben nach dem Tode an. Irgendwo in der Mitte kam Fechner auf die Beschränkungen des menschlichen Geists im irdischen Dasein zu sprechen. Im normalen Leben bietet das Bewußtsein nur Raum für einen einzigen Gedanken oder eine Erinnerung zugleich. Der Inhalt unseres Geistes steht niemals im ganzen zur Verfügung. Unser Erinnerungsvermögen kann nur an einem Platz gleichzeitig sein, wenn wir uns an etwas erinnern wollen, durchsuchen wir sozusagen mit einer schwachen Laterne unser Gedächtnis, beleuchten dabei einen schmalen Pfad und lassen das meiste im dunkeln. »So ist der Mensch Fremdling in seinem eignen Geiste und irrt darin herum dem Zufall folgend oder mühsam vom Ende des Fadens aus seinen Weg suchend, und vergißt oft seine besten Schätze, die abseits von der leuchtenden Spur des Gedankens versenkt liegen im Dunkel, was des Geistes weites Gebilde deckt.«
    Das ist ein ergreifendes Bild. Es hat etwas Trauriges, ein sich langsam fortbewegendes Lichtbündel, verloren in einem riesigen Lagerraum. Was in den Lichtkreis unseres Bewußtseins gelangt, steht immer allein. Sobald unser Denken weitergeht, müssen wir es wieder dem Dunkel preisgeben. Die Ränder des Lichtkreises sind

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