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Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung

Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung

Titel: Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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Kapitals, augenblicklich oder auf Raten. Eine neurologische Schädigung, Sauerstoffmangel, eine Infektion oder eine der Pathologien, denen Alois Alzheimer oder Sergej Korsakow Namen gegeben haben - egal, welche Ursache, die Folgen sind katastrophal: vieles dessen, was man erworben oder gelernt hat, was man sich mit Sorgfalt und Disziplin zu eigen gemacht hat, wird verschwinden. Ein Patient mit antero-grader Amnesie verliert die Fähigkeit, neue Erfahrungen so zu speichern, daß er sie wieder reproduzieren kann. Seine Zukunft ist schon während des Lebens gestrichen. Bei einem Patienten mit retrograder Amnesie ist die Vergangenheit gelöscht oder unzugänglich geworden. Die Person, die er einmal war, mit Fähigkeiten, Talenten und Charakterzügen, mit einem Innenleben, das von dem genährt wurde, was er erlebt hatte, ist verschwunden. In beiden Fällen hat der Patient einen stattlichen Teil seines geistigen Guthabens verloren, und es fehlt ihm an Mitteln, es auszugleichen.
    Bei Amnesie, die noch am ehesten einem Raubüberfall auf das Gedächtnis ähnelt, ist manchmal eine gewisse Erholung möglich. Elektroschocks oder ein sehr harter Schlag gegen den Schädel können retrograde Amnesie verursachen. Wenn man aus der Bewußtlosigkeit erwacht, ist ein Teil der Vergangenheit weg. Die eine Grenze ist relativ klar: der Moment, in dem man wieder zu sich kommt. Die andere Grenze ist verschwommen, mit einem zeitlichen Abstand, der mit der Schwere der Schädigung variiert. Die Gesundung hat eine feste Richtung, die von dem bereits genannten Ri bot als erstem formuliert und anhand von Fallstudien näher untersucht wurde. Die ältesten Erinnerungen, schrieb er in Les maladies de la memoire, kommen als erste wieder, Gedächtnisverlust schwindet von früher nach später. Bei Gedächtnis Verlust durch das, was er >senile Demenz< nannte, verschwinden erst die frischsten Erinnerungen, und die ältesten sind als letzte an der Reihe. Von der Ursache genau dieses Verlaufs solle man sich keine allzu einfache Vorstellung machen, warnte Ribot. »Es wäre kindisch anzunehmen, daß sich die Erinnerungen je nach Alter im Gehirn in Schichten ablagern, ähnlich wie Erdschichten, und daß die Krankheit von der Oberfläche in tiefere Schichten abtaucht und wie ein Experimentator handelt, der Scheibchen für Scheibchen das Hirn eines Tieres entfernt.« Die Erklärung für das, was inzwischen als »Gesetz von Ribot< bekannt ist, suchte er in den stärkeren assoziativen Verbindungen zwischen älteren Erinnerungen, die oft wiederholt wurden und so enger mit anderen Erinnerungen verflochten sind. In den heutigen Theorien über den Verlauf von Amnesie ist die Kraft der Assoziationen noch immer eine wichtige Hypothese für die relative Unverletzlichkeit älterer Erinnerungen. Man hat auch schon den Gedanken geäußert, alte
    Erinnerungen seien in weniger leicht zu störenden Hirnteilen gespeichert. Daß an die Momente kurz vor der Schädigung keine Erinnerungen wieder auftauchten, könnte darauf verweisen, daß das Trauma die chemische Prozesse durcheinanderbringt, die bei der Konsolidierung von Gedächtnisspuren betroffen sind.
    Bei Gedächtnisstörungen, die keine Folge eines so plötzlichen Überfalls sind, sondern eher einem Einbruchsdiebstahl ähneln, bleibt manchmal etwas zurück, das für ein scheinbar normales Leben reicht. In einem Kapitel über die Auswirkungen von Hirnkrankheiten auf das Gedächtnis beschreibt Schacter seine Erlebnisse während einer Golfpartie mit Frederick, einem Mann in den Fünfzigern mit beginnendem Alzheimer. Frederick spielt schon seit dreißig Jahren Golf. Die beiden Runden, die sie spielen, beeindrucken Schacter. Alles geht so gut: die Qualität von Fredericks Schlägen stimmt mit seinem Handicap überein, er wählt die richtigen Clubs, handhabt problemlos seine Golfbegriffe und schwatzt munter über Birdies. Auch seine Golfetikette läßt nichts zu wünschen übrig: wenn sein eigener Ball zwischen dem Loch und Schac-ters Ball liegt, hebt er ihn auf, markiert die Stelle mit einer Münze und wartet höflich, bis Schacter eingelocht hat. Den Ball nach dem Schlag wiederfinden ist kein Problem für Frederick: er schlägt und geht dem Ball hinterher. Mitten in der ersten Runde entscheidet sich Schacter für ein Experiment, schließlich ist man Psychologe. Er schlägt vor, die Reihenfolge des Abschlagens umzudrehen: erst Frederick, dann er selbst. Sofort tauchen Probleme auf. Die Zeit, in der Frederick warten muß, bis

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