Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung
Schacter geschlagen hat, ist gerade zu lang, um behalten zu können, wo sein eigener Ball landete. Wenn sie nach dem Abschlag weitergehen, muß Schacter ihm helfen, seinen Ball zu suchen. Anschließend im Clubhaus sind alle Erinnerungen gelöscht, und Frederick hält den Schein mit Gemeinplätzen aufrecht wie: »Meine Putts waren heute nicht gerade umwerfend.« Eine Woche später, als Schacter ihn zu einer zweiten Partie abholt, warnt ihn Frederick, er solle nicht allzuviel erwarten: er habe seit Monaten nicht mehr auf dem Golfplatz gestanden.
Gedächtnisstörungen verursachen Löcher, Lücken, Leere. Mit dieser Leere kann niemand leben. Oft füllt sich das Vakuum wieder, nicht mit Erinnerungen, sondern mit Geschichten, die dafür herhalten müssen. Korsakow-Patienten können überzeugend erzählen, was sie vor einer Woche erlebt haben: konfabulieren ist eines der definierenden Symptome ihres Syndroms. Manche Gedächtnisstörungen >fühlen< sich auch von innen heraus nicht so an, als ließen sie Lücken entstehen. Vieles von dem, was man vergessen hat, vermißt man nicht. Genau wie bei jemandem, der erst beim Augenarzt entdeckt, wie sehr sein Gesichtsfeld geschrumpft ist - man sieht nun einmal keine Ränder -, kommt eine Verschlechterung des Gedächtnisses erst bei einem diagnostischen Test ans Licht. Routine, Wiederholung, eine Umgebung, auf die jemand nach festen Mustern reagiert, sind manchmal noch lange Stützgewebe für ein Gedächtnis, das aus eigener Kraft kaum erhalten bliebe.
Das erste Anzeichen von Unheil ist oft eine Verschlechterung in einer Art von Gedächtnis, das auf die Zukunft gerichtet ist: dem prospektiven Gedächtnis, sich darin erinnern können, was man tun wird. Auch ohne Störung ist dies schon eine problematische Form des Erinnerns: sich selbst sagen »Ich darf gleich nicht vergessen ...« scheint manchmal der Geheimcode dafür zu sein, daß man es erst recht vergißt. In einer schwereren Form können beim Planen, dem Festhalten von Vorhaben, dem rechtzeitigen daran Denken, diese auch auszuführen, Stockungen auftreten, die nicht nur das Alltagsleben durcheinanderbringen, sondern auch empfindsame Indikatoren für Verfall und Verschlechterung sind. Für die Betroffenen selbst ist Gedächtnisverlust gerade in der ersten Phase schwierig zu verkraften. Patienten mit beginnendem Alzheimer durchlaufen alle Stadien von leichter Beunruhigung und regelrechter Panik, wenn ihnen bewußt wird, daß sie etwas nicht mehr wissen, was ein normaler, gesunder Mensch sehr wohl weiß. Die Aussicht, daß man schließlich vergessen wird, was man alles vergessen hat, und daß man das dann auch nicht vermissen wird, ist kein Trost, denn das bedeutet, daß man letztendlich selbst, als Person, ausgelöscht ist. Auch die Umgebung kann mit der Leere des Gedächtnisverlusts nicht leben. Was den Umgang mit lieben Angehörigen, die allmählich ihre Erinnerungen verlieren, so schmerzlich macht, ist, daß die Instrumente für ein Gespräch - die Wörter und die Fähigkeit, diese zu verstehen - noch lange intakt bleiben, während aus den Gesprächen selbst Gefühl und Tiefe verschwinden. Anspielungen auf gemeinsame Erfahrungen machen deutlich, daß diese Erfahrungen nicht länger wirklich geteilt werden. Die Wörter bedeuten noch, was sie früher bedeuteten, aber sie lassen keine Assoziationen mehr anklingen, es schwingt keine Vergangenheit mehr mit, es ist, als würde man Saiten anschlagen, die über keinen Klangkörper mehr gespannt sind.
Selbst in den schwersten Fällen von Gedächtnisverlust, wenn es kaum mehr Kontakt gibt, weder mit der eigenen Vergangenheit noch mit der Umgebung, unternimmt das Bewußtsein heftige Versuche, um Antworten auf Fragen zu finden, die unter diesen Umständen am dringlichsten sind: Wo bin ich, wer sind jene Menschen, was geschieht mit mir? Eine 83jährige Frau wohnt seit dem Tod ihres Mannes in einem Pflegeheim. Sie leidet an der Alzheimer-Krankheit. Daß ihr Mann bereits seit acht Jahren tot ist, weiß sie nicht mehr. Wenn sie unruhig ist, schreibt sie ihrem Mann Briefe.
»Den Helder Lieber Mann,
wie du siehst, sind wir mit den Alphener Senioren in Den Helder und hoffen, daß es eine angenehme Woche wird. Nur das Weggehen fand ich so betrüblich, aber ich hoffe, daß alles wieder in die rechte Bahn kommt. Wir sind mit den Senioren aus Alphen in Den Helder. Ich hoffe auch, Mann, daß sich alles wieder einrenkt bei uns, denn so wegzugehen ist traurig, das hätte kein Mensch für möglich
Weitere Kostenlose Bücher