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Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung

Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung

Titel: Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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von Verzweiflung, keine Pein, vielmehr ruhiger Ernst, tiefe Resignation, beherrschende geistige Sicherheit und Raschheit. Die Gedankentätigkeit ist enorm, wohl auf die hundertfache Geschwindigkeit oder Intensität gesteigert, die Verhältnisse wie die Eventualitäten des Ausgangs werden weit hinaus objektiv klar überblickt, keinerlei Verwirrung tritt ein ... In zahlreichen Fällen folgt ein plötzlicher Rückblick in die ganze eigene Vergangenheit. Zuletzt hört der Stürzende oft schöne Musik und fällt dann in einen herrlichen blauen Himmel mit rosafarbenen Wölklein hinein. Dann erlischt das Bewußtsein schmerzlos, gewöhnlich im Momente des Aufschlagens.«
    Die geistige Klarheit während des Sturzes widersprach der Annahme, daß Menschen schon vor dem Aufschlag das Bewußtsein verlieren. Auch Heims Clubkamerad Sigrist, der rücklings von der Spitze des Kärpfstocks gestürzt war, versicherte, er habe bis zum Schluß klar denken und wahrnehmen können. Ohne Schmerz oder Angst habe er seine Lage überschaut, die Zukunft seiner Familie und die Vorkehrungen, die er zu ihrer Absicherung bereits getroffen hatte, mit einer nie zuvor erfahrenen Schnelligkeit. Es könne keine Rede davon sein, daß ihm der Atem genommen worden sei, wie man so oft höre, und das Bewußtsein habe er erst durch den sehr harten Aufschlag auf das Schneekissen unten an der Kante verloren.
    Ein Mann, der als achtjähriger Junge von einer 82 Fuß hohen Felsenspitze gefallen war, erzählte, wie er drei- oder viermal einen Salto durch die Luft gemacht hatte und besorgt war, daß ihm dabei das Taschenmesser, das er von seinem Vater bekommen hatte, aus der Hosentasche purzeln würde. Ein Theologiestudent, der eine Zugreise machte und nach dem Einsturz der Brücke über den Birs drohte, von den zur Seite fallenden Waggons zerschmettert zu werden, schrieb Heim, daß inmitten des Tumults von splitterndem Holz eine ganze Flut von Gedanken unterdessen Zeit gehabt habe, auf die klarste Weise durch sein Gehirn zu ziehen, und daß ihm eine Reihe von Bildern in schneller Folge all das Schöne, Liebe und Teure gezeigt habe, das er in seinem Leben mitgemacht hatte.
    Was die Berichte Heims, einschließlich seinen eigenen, verband, war die Klarheit und Ruhe der Erfahrung. Niemand hatte in seinem Sturz einen Angstschrei ausgestoßen, niemand war verzweifelt, daß sein Leben in wenigen Augenblicken vorüber sein würde. Angehörige der Opfer konnten darin Trost finden. Am Ende seiner Vorlesung berichtete er, daß seine Ergebnisse eine Mutter, die zwei Söhne durch einen Sturz in den Bergen verloren hatte, mit ihrem Tod versöhnt hatten. »Unsere im Gebirge totgestürzten Freunde«, erklärte er, »haben im letzten Momente ihre Vergangenheit in Verklärung geschaut. Sie haben der Ihrigen noch liebend gedacht, sie waren schon erhaben über körperlichen Schmerz, reine, große Gedanken, himmlische Musik, das Gefühl des Friedens und der Versöhnung beherrschte sie, sie fielen in einen blauen und rosigen, herrlichen Himmel hinein, so sanft, so weich, so selig - und dann war plötzlich alles still.«
    Die Machtergreifung des Unbewußten
    1929 richtete Oskar Pfister, der in derselben Stadt wohnte, die Bitte an Heim, noch einige Fragen zu seinem Sturz zu beantworten. Heim war inzwischen achtzig Jahre alt, aber als Verfasser geologischer Publikationen noch sehr aktiv. Obwohl der Sturz fast sechzig Jahre zurück lag, schrieb Heim einen ausführlichen Brief, in dem er so viele Einzelheiten wie möglich ergänzte. Sein Korrespondent Pfister (1873-1956) war Theologe. Er war schon seit langer Zeit mit Freud befreundet und hatte die Psychoanalyse auf die Seelsorge angewendet, mit der er als Pastor betraut war. Als Bergsteiger war er zweimal fast zu Tode gestürzt. Beide Male konnte er sich retten, das erste Mal, indem er gerade noch rechtzeitig nach einem Ast griff, beim zweiten Mal, indem er schnell seinen Pickel in die Eiswand schlug. Auch er hatte die Erfahrung gemacht, daß sich seine Gedanken überschlugen, erst ein ungläubiges »Es kann gar nicht sein, daß du abstürzest, dein Sturz ist nicht ernst zu nehmen, du befindest dich in einer Täuschung«, danach die korrigierende Erkenntnis der Wirklichkeit (»Doch, doch, du stürzest ab, du schwebst in größter Gefahr, sieh dich vor!«), gefolgt von der lebensrettenden Handlung. Pfister verarbeitete Heims Erfahrungen und die eines fast gefallenen Offiziers, den er einige Zeit in Analyse betreut hatte, in einem Artikel

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