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Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung

Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung

Titel: Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird-Von den Rätseln unserer Erinnerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douwe Draaisma
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auch so erinnert. Aber dasselbe Ereignis ist auch noch einmal als Registrierung von außen gespeichert. Auf dieser Aufnahme ist festgelegt, wie andere einen sahen - denkt man zumindest -, als einem das passierte. Alles ist doppelt gespeichert. Im einen Register die Scham, im anderen der schlechteste Spieler, der hinter dem ersten Damebrett Platz nimmt.
    Literatur
    W.A. Wagenaar, »Remembering my worst sins: how autobiographical memory serves the updating of the conceptual seif«, M. A. Conway, D.C. Rubin, H. Spinn-ler & W.A. Wagenaar (Hrsg.), Theoretical perspectives on autobiographical memory, Dordrecht 1992, 263-274.
    W. Wundt, Erlebtes und Erkanntes, Stuttgart 1920.

Das innere Blitzlicht
    Wenn man Sie fragt, wo sie an einem willkürlichen Tag vor ein paar Jahren gewesen sind, sagen wir mal, am 31. August 1997, was Sie damals taten, mit wem Sie zusammen waren und was für Wetter herrschte, dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß Sie diese Frage nicht beantworten können. Und Sie werden es auch nicht wahrscheinlich finden, daß man Ihnen mit Hinweisen helfen könnte wie »Denken Sie noch einmal gut nach, es war ein Sonntag« oder so etwas Ähnliches. Dieser Tag scheint, wie die meisten Tage, die eine Weile zurückliegen, für immer der Vergessenheit preisgegeben.
    Aber das ändert sich mit dem Wissen, daß es sich bei diesem 31. August um den Tag handelte, an dem Sie hörten, daß Prinzessin Diana verunglückt war. Wenn Sie an diesen Augenblick zurückdenken, wissen Sie wahrscheinlich noch, von wem Sie diese Nachricht hörten, von einem Hausbewohner oder über Fernsehen oder Radio, Sie wissen auch, wo Sie waren, wer sonst noch bei Ihnen war, was Sie gerade taten, wie Ihre erste Reaktion war und wie die Leute um Sie herum reagierten.
    Erinnerungen, bei denen nicht nur die Nachricht, sondern auch die Umgebung festgelegt ist, nennt man >flashbulb memories<, >Blitzlichterinnerungen<. Diesen sprechenden Namen bekamen sie 1977 von den Psychologen Brown und Kulik. Ihnen war aufgefallen, daß Menschen bei schockierenden Meldungen nicht nur die Nachricht selbst behielten, sondern auch detaillierte Erinnerungen an die Umstände rund um die Nachricht. Das klassische
    Beispiel ist Kennedys Tod. Bei jedem >Jubiläum< des Anschlags auf Kennedy erscheinen in amerikanischen Zeitungen und Zeitschriften Artikel, in denen Leute ihre persönliche Blitzlichterinnerung an den Moment erzählen, in dem sie hörten, daß er niedergeschossen worden war. Das Genre ist in den amerikanischen Medien so bekannt, daß auch Persiflagen darauf erschienen sind: Die Tiere im Wald erzählen sich gegenseitig, wo sie waren, als sie hörten, daß Bambis Mutter erschossen worden war.
    Die vielleicht kurioseste Blitzlichterinnerung an den Tod Kennedys ist die eines gewissen Derek Waken, Lehrer an einem Internat. Er war nach der Schule mit ein paar Schülern auf dem Schießstand zum Üben. Nach einiger Zeit beschloß Waken zurückzugehen, um in der Schule schon mal etwas für den nächsten Tag vorzubereiten. Gegen alle Regeln bat er den Ausbilder, einen jungen Kollegen namens Cameron Kennedy, abzuschließen. Er gab ihm die Schlüssel zum Waffenschrank und zum Munitionsmagazin und ging. Während er in der Schule beschäftigt war, wurde plötzlich die Tür aufgerissen. Ein Schüler schrie: »Mr. Waken, Mr. Waken, Kennedy wurde erschossen!« Voller Angst und Schrecken lief er zu der Halle, in der Lehrer und Schüler aufgeregt durcheinanderredeten. Die Direktorin kam mit ernstem Gesicht auf ihn zu und erzählte, daß Präsident Kennedy erschossen worden sei. Derek Waken stieß einen Seufzer der Erleichterung aus: »Ich hatte meine Stelle wieder und war sehr froh.«
    Obwohl es den Namen Blitzlichterinnerung erst seit 1977 gibt, ist das Phänomen selbst aus allen Zeiten bekannt. In einer der ältesten Studien über das autobiographische Gedächtnis, erschienen 1899, zeigte sich, daß der Mordanschlag auf Abraham Lincoln denselben Effekt gehabt hatte: von den 179 Befragten konnten 127 erzählen, wo sie waren und was sie in dem Moment taten, als sie von seinem Tod erfuhren. Die Berichte, aufgezeichnet im Jahre 1899, also 33 Jahre danach, haben alle Züge einer Blitzlichterinnerung. Eine Frau von 76 Jahren erinnerte sich, daß sie an ihrem Herd stand, um das Abendessen fertig zu machen, als ihr Mann hereinkam und es ihr erzählte. Und ein Mann von 73: »Ich reparierte gerade den Zaun, und weiß noch genau, wo ich stand.
    Herr W. kam vorbei und erzählte es mir.

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