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Warum es die Welt nicht gibt

Warum es die Welt nicht gibt

Titel: Warum es die Welt nicht gibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Gabriel
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»Realismus« eigentlich verstehen sollte und welche Thesen am besten mit ihm verbunden werden können. Wie alle anderen Begriffe versteht man auch philosophische Begriffe am deutlichsten, wenn man sich ihren Kontrast vor Augen führt. Der für unseren Zusammenhang wichtigste Kontrastbegriff zum Realismus ist nicht etwa der des Idealismus, wie manche Leser vielleicht vermuten mögen, sondern der Nominalismus – ein wichtiger Vorläufer des modernen Konstruktivismus.
    Der N ominalismus behauptet, dass unsere Begriffe und Kategorien nicht etwa Strukturen und Einteilungen der Welt beschreiben oder abbilden, sondern dass alle Begriffe, die wir Menschen uns von unserer Umwelt und uns selbst bilden, nur Verallgemeinerungen sind, die wir vornehmen, um unsere Überlebenschancen zu erhöhen. Es gebe eigentlich keinen allgemeinen Begriff des Pferdes, unter den dann alle Pferde fallen, sondern nur viele einzelne Dinge, die wir vereinfachend jeweils »Pferd« nennen. Begriffe seien letztlich nur leere Namen, woher der Nominalismus auch seinen Namen erhalten hat – »nomen« ist das lateinische Wort für »Namen«. Wenn unsere Begriffe aber nur Vereinfachungen wären – also leere Stellvertreter für all die vielen Phänomene wie Planeten, Pferde oder Proteine –, könnten wir nicht mehr annehmen, dass die Gegenstände selbst überhaupt irgendwie strukturiert sind. Denn keine Struktur, die wir den Gegenständen unterstellen, wäre wirklich zwingend. Als Beispiel können wir die Struktur eines roten Apfels heranziehen. Der Apfel ist rot, was bedeutet, dass er farbig ist. Es gehört zur Struktur des Apfels, dass er farbig ist. Sonst könnte er nicht rot sein. Nun gibt es aber auch andere farbige Gegenstände, etwa grüne Äpfel. Daraus folgt unmittelbar, dass der Gegenstand eine Struktur hat, die auch andere Gegenstände haben können. Seine Struktur ist in diesem Sinne allgemein, sie trifft nicht nur auf diesen einen Gegenstand zu. Wenn alle allgemeinen Strukturen aber Vereinfachungen sind, die wir mit letztlich substanzlosen, leeren Worten bezeichnen, können wir folglich nicht einmal mehr annehmen, dass es rote und grüne Äpfel gibt.
    Der Realismus nimmt im Allgemeinen entsprechend an, dass einige unserer Begriffe, wozu auch abstrakte Begriffe wie Liebe, Staat oder der Begriff des abstrakten Begriffs gehören, nicht bloß Namen sind, mit denen wir uns die Sache vereinfachen. Vielmehr gibt es Strukturen, die wir begrifflich nachzeichnen. Der amerikanische Philosoph Theodore Sider verteidigt vor diesem Hintergrund zu Recht die These, dass der Realismus eine allgemeine Behauptung ist, die darin besteht, dass es Strukturen gibt. Diese Position, den S trukturenrealismus , nennt er in seinem Werk Das Buch der Welt schreiben ironisch einen »hirnlosen Reflexrealismus«, weil eigentlich nicht abzusehen ist, wie jemand diese Position ernsthaft bestreiten wollte. 48 Der Realismus ist im Allgemeinen also die These, dass es überhaupt irgendwelche Strukturen gibt, die wir uns nicht einbilden. Während Sider wiederum einen ziemlich unbegründeten materialistischen Monismus vertritt, der keineswegs zwingend aus dem Strukturenrealismus folgt, vertritt der Neue Realismus die doppelte These, dass wir erstens Dinge und Tatsachen an sich erkennen können und dass zweitens Dinge und Tatsachen an sich nicht einem einzigen Gegenstandsbereich angehören. Es gibt nicht nur materielle Gegenstände, sondern zum Beispiel auch logische Gesetze und menschliche Erkenntnis, die wir ebenso erkennen können wie materielle Gegenstände. Meine eigene Spielart des Neuen Realismus ist die Sinnfeldontologie, die behauptet, dass alles dasjenige, was wir erkennen, in Sinnfeldern erscheint. Der Neue Realismus modelliert demnach den Begriff der Realität und den der Erkenntnis nicht mehr mit Blick auf den materialistischen Monismus. Denn dieser hinkt auf dem Gebiet der Ontologie beinahe der gesamten Philosophiegeschichte hinterher, da er zum ersten Mal mit ausgesprochen guten Argumenten schon von Platon, etwa in den Dialogen Der Sophist und Parmenides , und noch ausdrücklicher in Aristoteles’ Metaphysik , widerlegt worden ist.
    In einem Zeitungsartikel in der FAZ vom 4. April 2012 berichtete Thomas Thiel von der ersten in Deutschland organisierten Konferenz über den »Neuen Realismus«. Thiel stellt meiner Position dort die Frage, ob sie mehr beweisen kann, als dass wir ein einziges Ding an sich erkennen, nämlich die Tatsache, dass es überhaupt irgendwelche

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