Warum französische Frauen nicht dick werden (German Edition)
natürlich von allen beachtet. Was niemand bemerkte, war, dass sie kaum einmal die Lippen an ihr Glas führte, und auch dann nur ein paar Tropfen trank. Wenn der Kellner mit der Flasche vorbeikam, war ihr Glas noch voll, und so überging er sie und füllte nur die Gläser der anderen wieder auf, die nichts bemerkten. Einige der Gäste hatten bereits zwei oder drei Gläser getrunken, als die Gräfin erst ein Drittel ihres Glases geleert hatte. Das wiederholte sie auch bei den nachfolgenden Gängen und stellte so sicher, dass sie insgesamt nie mehr als ein Glas zu sich nahm, wobei sie stets ein Muster an Geselligkeit war. Ich hätte meinen Beruf niemals all die Jahre ausüben können, hätte ich mich nicht Tag für Tag neu an den Trick der Gräfin gehalten. Wie auch sie bin ich oft mittags
und
abends die Gastgeberin und weiß eines so gut wie sie: Gerade wenn man beruflich mit Essen und Trinken zu tun hat, dürfen die Gäste abends nicht merken, dass man mittags bereits ein dreigängiges Menü mit Wein genossen hat.
KAPITEL 9
Brot und Schokolade
Kürzlich habe ich in Paris ein kurzes Theaterstück mit dem Titel
Les Mangeuses de Chocolat
(wörtlich: Die Schokoladenesserinnen) gesehen. Drei junge Schokoladenabhängige entscheiden sich, zu einer Gruppentherapie zu gehen, und die Therapeutin (selbst eine Ex-Schokoholikerin) versucht, ihnen zu helfen, ihr
élément déclencheur
zu finden, den Schlüssel, von der Schokolade loszukommen. Alle versagen (
surprise!
), es findet sich keine Lösung (wir sprechen von französischem Theater), aber es gibt viele gute Sätze, einige mit mehr als nur einer Spur Wahrheit. Zum Beispiel: »Einer Untersuchung zufolge geben neun von zehn Leuten zu, dass sie Schokolade lieben, … und der Zehnte lügt.«
Das Stück war eine Satire auf eine französische Obsession (Schokolade), aber auch auf unser therapeutisches System. Ich nahm es von der komischen Seite, bis auf eine Bemerkung über Frauen, die ihre Schokolade
en cachette
essen – für sich. Für Franzosen mag das dumm genug sein, um einen Witz darüber zu machen, aber angesichts meiner eigenen Erfahrungen konnte ich nicht darüber lachen. Zu oft essen zum Beispiel Amerikanerinnen heimlich, und das Ergebnis sind Schuldgefühle statt Genuss. Das alles korrespondiert mit einer Haltung, die geändert werden sollte: Nichts ist
sündhaft
köstlich. Wenn Sie wirklich etwas genießen, so wie ich Schokolade genieße, dann sollte es dafür einen Platz in Ihrem Leben geben. Schuldgetriebene Versteckspiele dürfen wir uns nicht erlauben. Pflegen Sie IhrVergnügen, und genießen Sie Ihre Schokolade bei hellem Tageslicht. Das Gleiche gilt für andere Dinge, die in den Augen mancher Leute gänzlich abzulehnen sind.
Französinnen essen Schokolade (im Durchschnitt rund 5 1/2 Kilo pro Jahr). Und sie essen auch Brot (schließlich haben wir eine Revolution dafür geführt!), das ebenfalls auf unserer »Übeltäter«-Liste auftaucht. Trotzdem:
Französische Frauen werden nicht dick
. Tatsächlich haben wir es hier mit einer anderen Form eines Paradoxons zu tun, das Französinnen durchschauen: Wenn man so tut, als existierten derartige Genüsse nicht, und versucht, sie über längere Zeit komplett von seinem Ernährungsplan zu streichen, führt das wahrscheinlich zu einer Gewichtszunahme. Das einzige langfristige Ergebnis von Entzug ist der Jojo-Effekt – heute geht es herunter, aber ehe man sich versieht, auch schon wieder hoch. Völliger Entzug hat keinen Sinn, vor allem da sowohl Brot als auch Schokolade gut für Sie sind.
Wenn wir Brot und Schokolade essen wollen (und das tun wir), ohne dick zu werden (das tun wir nicht), müssen wir unsere Köpfe gebrauchen, wie Dr. Wunder es uns geraten hat. Maximieren Sie den Ertrag Ihres Genusses, und minimieren Sie die Kosten. Ja, Dr. Wunder bestand sogar darauf, dass die kleinen Genüsse (
menus plaisirs
) den Schlüssel zum Erfolg bilden, und nach seiner Verordnung brauchte ich meine Schokolade unbedingt, wenn auch in kleinen Portionen (
par petites doses
). Dazu musste ich meine Wertschätzung dessen, was ich mir erlaubte, kultivieren. Kurz gesagt, lehrte er mich die französische Art, eben jene Dinge zu genießen, die Freund oder Feind sein können, je nachdem, wie wir mit ihnen umgehen. Dafür brauchen wir sinnliches Bewusstsein, ein Gefühl für die richtige Menge und Qualität sowie ein Auge für unser allgemeines Wohlbefinden (
bien être
).
Ich habe bereits gestanden,
que je raffole de
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