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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Druckerman
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konzentrierten.
    »Ich dachte: Was für eine unglaubliche Kultur! Die tun ja fast so, als wäre das Kind ein Gott. Wahnsinn! Kein Wunder, dass Amerikaner so selbstbewusst und glücklich sind und Franzosen so deprimiert. Bei der Aufmerksamkeit!«
    Aber mit der Zeit begann Dominique diese Form der Aufmerksamkeit mit anderen Augen zu sehen. Sie merkte, dass dieselbe Dreijährige, die die Unterhaltung an Thanksgiving zum Erliegen gebracht hatte, übertriebene Ansprüche entwickelte.
    »Und da dachte ich: Dieses Mädchen nervt echt! Sie kommt an und denkt, ihre bloße Anwesenheit reicht aus, dass die anderen alles stehen und liegen lassen und sie beachten.«
    Dominique, deren Kinder elf, acht und zwei sind, erzählt, ihre Zweifel seien lauter geworden, als sie hörte, wie die Kinder in der Vorschule auf die Anweisungen ihrer Lehrer reagierten. Sie sagten einfach: »Du hast mir nichts zu sagen!« (»In Frankreich wäre das undenkbar!«, so Dominique.) Waren sie und ihr Mann bei amerikanischen Familien mit Kleinkindern eingeladen, musste Dominique am Ende häufig selbst kochen, weil die Gastgeber damit beschäftigt waren, ihre Kinder im Bett zu halten.
    »Statt streng zu sein und zu sagen: ›Nein, es reicht, du bekommst jetzt keine Aufmerksamkeit mehr, es ist Elternzeit, meine Zeit, die ich als Erwachsener mit Freunden verbringen möchte. Du hast deine Zeit bereits gehabt. Geh ins Bett, das war’s!‹, ist nichts dergleichen passiert. Keine Ahnung, warum die Eltern das nicht machen, aber sie tun es einfach nicht. Sie können das einfach nicht. Sie sind rund um die Uhr nur für die Kinder da. Das hat mich echt umgehauen!«
    Dominique liebt New York nach wie vor und zieht amerikanische Schulen den französischen vor. Aber was die Erziehung anbelangt, ist sie nach und nach auf französische Methoden mit ihren festen Regeln und Grenzen umgeschwenkt.
    »Die französische Methode ist manchmal ein bisschen zu streng. Man könnte netter und freundlicher zu den Kindern sein. Aber die amerikanische ist das andere Extrem, dort vermittelt man Kindern den Eindruck, sie würden die Welt regieren.«
    Es fällt mir schwer, meinem »Spiegelbild« zu widersprechen. Ich kann mir die Dinnerpartys, von denen sie mir erzählt, lebhaft vorstellen. Amerikanische Eltern (ich eingeschlossen) sind oft sehr zwiespältig, wenn sie Autorität an den Tag legen sollen. Rein theoretisch finden auch wir, dass Kinder Grenzen brauchen. Doch in der Praxis wissen wir oft nicht, wo diese Grenzen verlaufen sollen, oder fühlen uns unwohl, wenn wir ihre Einhaltung einfordern.
    »Ich fühle mich so schuldig, wenn ich wütend werde. Das schlechte Gewissen ist stärker als meine Wut«, rechtfertigt ein Studienfreund von Simon das schlechte Benehmen seiner dreijährigen Tochter. Eine Freundin von mir erzählt, ihr dreijähriger Sohn habe sie gebissen. Aber sie habe ihn nicht anschreien wollen, denn daraufhin hätte er bestimmt geweint. Also habe sie die Sache auf sich beruhen lassen.
    Angloamerikanische Eltern haben Angst, zu viel Strenge könnte die Kreativität ihrer Kinder im Keim ersticken. Eine amerikanische Mutter auf Besuch in Paris war schockiert, als sie bei uns einen Laufstall entdeckte. Anscheinend gelten bei uns zu Hause Laufställe als zu einengend. (Wir wussten das gar nicht. In Paris sind sie de rigueur , sprich ein Muss.)
    Eine Mutter aus Long Island erzählt mir von ihrem unerzogenen Neffen, dessen Eltern aus ihrer Sicht viel zu nachsichtig waren. Aber sie erzählt mir auch, dass dieser Neffe inzwischen als Oberarzt auf einer amerikanischen Krebsstation arbeitet und sich damit brüstet, ein unerträgliches Kind gewesen zu sein. »Ich glaube, hochintelligente Kinder, die nicht so viel Disziplin haben, sind unerträglich, wenn sie klein sind. Aber lässt man ihnen ihre Freiheiten, sind sie später kreativer«, behauptet sie.
    Es fällt schwer zu sagen, wo die Grenzen verlaufen sollten. Wenn ich Leo zwinge, im Laufstall oder im Sandkasten zu bleiben – halte ich ihn dann davon ab, eines Tages Krebs heilen zu können? Wo hören persönliche Freiheiten auf, und wo fängt intolerables, schlechtes Benehmen an? Wenn ich erlaube, dass meine Kinder an jedem Kanaldeckel stehen bleiben und ihn sich näher ansehen – verfolgen sie dann ihren eigenen Weg oder verwandeln sie sich in ungezogene Blagen?
    Viele angloamerikanische Eltern befinden sich in dem unangenehmen Zwiespalt, Diktator und Muse gleichzeitig sein zu wollen. Mit dem Ergebnis, dass sie ständig

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