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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Druckerman
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französische Formulierung suggeriert, dass es einen logischen Regelkanon gibt, an dem sich sowohl Kinder als auch Erwachsene orientieren. Sie macht auch deutlich, dass das Kind andere Dinge durchaus darf.
    Kinder schnappen diesen Satz schnell auf und kontrollieren sich damit gegenseitig. Ein Schulhoflied bei Kleinkindern ist der Reim, »Oh là là, on a pas le droit de faire ça!« (»Oh, là, là, das dürfen wir nicht!«)
    Ein anderer Satz, mit dem sich Eltern häufig an ihre Kinder wenden, lautet: »Das finde ich nicht gut«, zum Beispiel: »Ich finde es nicht gut, dass du Erbsen auf den Boden wirfst.« Eltern sagen das in seinem sehr ernsthaften Ton und sehen das Kind dabei direkt an. »Das finde ich nicht gut« bedeutet mehr als nur Nein. Es etabliert den Erwachsenen als Gegenüber, auf den das Kind Rücksicht nehmen muss. Und es lässt dem Kind seine eigene Meinung über Erbsen auf dem Boden, auch wenn diese überstimmt wird. Das Erbsenwerfen wird als etwas betrachtet, wofür sich das Kind rational entschieden hat, also kann es sich auch bewusst dagegen entscheiden.
    Das erklärt auch, warum Familienmahlzeiten in Frankreich so entspannt verlaufen: Statt mit einer Riesenkrise zu rechnen und sich drakonische Bestrafungen auszudenken, konzentrieren sich Eltern und Erzieher auf viele kleine, respektvolle, vorbeugende Maßnahmen, die auf allgemein anerkannten Regeln beruhen.
    Das erlebe ich auch in der crêche , als ich mit den anderthalbjährigen Kindern für ein weiteres köstliches VierGänge-Mittagsmenü Platz nehme. Sechs Kleinkinder mit identischen knallbunten Frotteelätzchen sitzen um einen rechteckigen Tisch, während Anne-Marie die Mahlzeit beaufsichtigt. Die Atmosphäre ist völlig entspannt. Anne-Marie beschreibt die Lebensmittel eines jeden Ganges und erklärt den Kindern, was sie von ihnen erwartet. Mir fällt auf, dass sie sehr genau hinschaut, was wer macht, und schon kleinste Regelverstöße kommentiert, ohne die Stimme zu erheben.
    » Doucement – so geht man nicht mit einem Löffel um«, sagt sie zu einem Jungen, der angefangen hat, mit seinem Löffel auf den Tisch zu hämmern. »Nein, nein, nein, den Käse nehmen wir noch nicht, der ist für später«, ermahnt sie einen anderen. Wenn sie mit einem Kind spricht, stellt sie stets Blickkontakt her. Am Ende sind die Kindergesichter essensverschmiert. Aber es liegen höchstens ein paar Krümel am Boden.
    Französische Eltern und Erzieher üben Autorität aus, ohne wie Diktatoren zu wirken. Sie wollen keine Roboter heranziehen, im Gegenteil: Sie hören den Kindern immer aufmerksam zu und reden mit ihnen. Die Eltern mit der größten Autorität behandeln ihr Kind nicht wie einen Untergebenen, sondern als gleichberechtigten Gesprächspartner. »Wenn etwas verboten ist, muss man stets den Grund dafür nennen«, so Anne-Marie.
    Wenn ich frage, was sich französische Eltern am meisten für ihre Kinder wünschen, antworten sie: »Dass sie sich wohl in ihrer Haut fühlen und ihren eigenen Weg machen.« Sie möchten, dass ihre Kinder eigene Vorlieben und Meinungen entwickeln. Ja, Franzosen machen sich sogar regelrecht Sorgen, wenn ihre Kinder zu brav sind. Sie sollen Charakter haben.
    Gleichzeitig sind sie der Auffassung, dass Kinder dies nur erreichen können, wenn sie ihre Grenzen kennen und sich beherrschen können. Neben dem Charakter muss auch ein cadre existieren.
    * * *
    Es ist nicht leicht, von so vielen wohlerzogenen Kindern und Eltern mit hohen Erwartungen umgeben zu sein. Tag für Tag schäme ich mich in Grund und Boden, wenn meine Jungs losbrüllen oder quengeln, wenn wir vom Lift quer durch den Innenhof unseres Hauses laufen. Es ist, als würde ich sämtlichen Nachbarn verkünden: Die Amerikaner sind wieder da!
    In den Weihnachtsferien sind Bean und ich eines Nachmittags bei einer Spielfreundin von ihr zum goûter eingeladen. Die Kinder bekommen heiße Schokolade und Kekse (mir wird Tee vorgesetzt). Als wir gemeinsam um den Tisch sitzen, beschließt Bean, dass das ein guter Moment ist, um bêtises z u machen. Sie nimmt einen Schluck von ihrer heißen Schokolade und spuckt sie zurück in ihren Becher.
    Ich bin wie gelähmt vor Entsetzen. Wenn ich wüsste, welches Bein zu meiner Tochter gehört, würde ich unterm Tisch dagegen treten. Ich zische sie an, sofort damit aufzuhören, möchte aber kein allzu großes Theater machen, um die Atmosphäre nicht zu ruinieren. Währenddessen sitzen die drei Töchter der Gastgeberin sage am Tisch und knabbern

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