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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Druckerman
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an ihren Keksen.
    Ich kann sehen, wie Franzosen ihren cadre installieren. Ich verstehe bloß nicht, wie sie ihre Kinder gelassen dazu bringen, sich daran zu halten. Ich selbst muss leider immer an das Sprichwort denken »Mitgefangen, mitgehangen«: Schicke ich Bean auf ihr Zimmer, muss ich bei ihr im Zimmer bleiben, denn sonst läuft sie wieder raus.
    Ermutigt durch die Leo-Episode im Park versuche ich, gleichbleibend streng zu sein. Aber das funktioniert nicht immer. Ich weiß nicht genau, wann ich die Schraube festziehen und wann ich sie lockern muss.
    Um mir Rat zu holen, verabrede ich mich mit Madeleine, einer französischen Nanny, die für Robynne und Marc gearbeitet hat, zum Mittagessen. Sie wohnt in einer Kleinstadt in der Bretagne, macht aber gerade bei einem Neugeborenen Nachtschichten in Paris. (»Das Kind ist noch auf der Suche danach, wie Durchschlafen geht«, wie Madeleine so schön sagt.)
    Die 36-jährige Madeleine ist selbst Mutter von drei Kindern. Sie hat kurzes, braunes graugesträhntes Haar und ein warmes Lächeln. Sie strahlt die natürliche Autorität aus, die ich an Frédérique und den anderen Eltern sehe. Wie sie ist Madeleine selbstverständlich fest von ihren Methoden überzeugt.
    »Je verwöhnter ein Kind ist, desto unglücklicher ist es«, erklärt sie, kaum dass wir uns gesetzt haben.
    Wie schafft sie es also, ihre Zöglinge parieren zu lassen?
    Les gros yeux (»große Augen«) – mit anderen Worten, sie reißt die Augen auf. Madeleine gibt mir eine Privatvorführung. Dabei verwandelt sie sich von einer lieben Dame im rosa Pulli in eine furchterregende Eule. Obwohl sie nur Demonstrationszwecken dient, ist diese Vorführung höchst überzeugend.
    Ich möchte ebenfalls lernen, die Augen aufzureißen. Nachdem unsere Salate serviert wurden, üben wir. Zunächst fällt es mir schwer, einen auf Eule zu machen, ohne laut loszuprusten. Aber wie bei Frédérique im Park spüre ich den Unterschied, als ich endlich mit Überzeugung bei der Sache bin. Und schon ist mir gar nicht zum Lachen zumute.
    Madeleine versucht nicht, den Kindern Angst einzujagen, damit sie ihr gehorchen. Das Augenaufreißen funktioniert ihrer Aussage nach am besten, wenn eine enge Beziehung zum Kind besteht, die von gegenseitigem Respekt geprägt ist. Das Befriedigendste an ihrem Job sei, eine »Komplizenschaft« mit dem Kind herzustellen, zu versuchen, die Welt durch dessen Brille zu betrachten. Daher wisse sie meist schon im Voraus, was ein Kind tut. Das setze jedoch voraus, dass man es genau beobachtet, mit ihm redet und ihm gewisse Freiheiten lässt.
    Um eine Beziehung zum Kind aufzubauen, bei der les gros yeux funktioniert, müsse man zwar streng sein, aber dabei flexibel bleiben und dem Kind eine gewisse Selbstständigkeit und Wahlfreiheit lassen. Für sie ist es kein Widerspruch, eine innige, von gegenseitigem Respekt geprägte Beziehung zu haben und streng zu sein. Ihre Autorität scheint sich aus der Beziehung zu den Kindern zu speisen, sie wird ihnen nicht übergestülpt. Madeleine schafft es, Komplizenschaft und Autorität miteinander zu verbinden. »Man muss auf sein Kind hören, hat aber auch die Aufgabe, ihm Grenzen zu setzen.«
    Les gros yeux sind berühmt-berüchtigt in Frankreich. Bean hat sich davor gefürchtet, als sie noch in die crêche gegangen ist. Viele französische Erwachsene erinnern sich noch gut daran, ganz ähnlich angesehen worden zu sein.
    »Sie hatte diesen Blick«, so Clotilde Dusolier, eine Pariser Kochbuchautorin, über ihre Mutter. »Meine Eltern benutzten einen Tonfall, bei dem wir sofort wussten, dass wir eine Grenze überschritten hatten. Ihr Gesichtsausdruck war streng und verärgert, alles andere als glücklich. Und dann mahnten sie, ›Das sagt man nicht!‹. Daraufhin fühlten wir uns gerügt und ein wenig beschämt. Aber irgendwann war es auch wieder vorbei.«
    Ich finde vor allem bemerkenswert, dass sich Clotilde wohlwollend an les gros yeux und den cadre erinnert. Über ihre Mutter sagt sie: »Sie war immer sehr klar in ihren Ansagen, was wir dürfen und was nicht. Sie hat es geschafft, liebevoll und autoritär zu sein, ohne je laut werden zu müssen.«
    Apropos laut werden: Ich werde sehr oft laut. Das hilft manchmal, wenn die Kinder sich die Zähne putzen oder vor dem Essen die Hände waschen sollen. Aber es verlangt mir so einiges ab und schafft eine unangenehme Atmosphäre. Je lauter ich werde, desto schlechter und erschöpfter fühle ich mich hinterher.
    Französische Eltern

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