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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Druckerman
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nicht als »natürlich«, sondern einfach als »Geburt ohne PDA « ( accouchement sans péridurale ). Einige wenige französische Krankenhäuser und Geburtskliniken verfügen inzwischen über Geburtsbadewannen und riesige Gummibälle, die in den Wehen liegende Frauen umarmen können. Aber nur wenige Französinnen benutzen sie. Die ein oder zwei Prozent, die in Paris keine PDA wollen, sind entweder verrückte Ausländerinnen wie ich oder Französinnen, die es nicht rechtzeitig ins Krankenhaus geschafft haben.
    Die naturverbundenste Französin, die ich kenne, heißt Hélène. Sie geht mit ihren Kindern zelten und hat sie über zwei Jahre lang gestillt. Aber selbst Hélène hatte bei jeder Geburt eine PDA . Für sie ist das kein Widerspruch. Manches mag sie lieber au naturel , anderes mit den Errungenschaften der Schulmedizin.
    * * *
    Die Unterschiede zwischen Frankreich und Amerika werden mir ganz besonders bewusst, als ich Jennifer und Eric kennen lernen ein Paar um die dreißig. Sie ist Amerikanerin und arbeitet für einen internationalen Großkonzern in Paris. Er ist Franzose und arbeitet in der Werbeindustrie. Sie leben mit ihren beiden Töchtern etwas außerhalb von Paris. Als Jennifer zum ersten Mal schwanger war, ging Eric davon aus, dass man einen Frauenarzt sowie ein Krankenhaus aussuchen und das Baby bekommen würde. Aber Jennifer schleppte bergeweise Ratgeber an und zwang Eric, sie gemeinsam mit ihr durchzuarbeiten.
    Eric kann heute noch nicht fassen, dass Jennifer die Geburt planen wollte. »Sie wollte auf einem Ball gebären, in einer Badewanne«, erinnert er sich. »Der Arzt hat ihr gesagt, sie sei hier weder im Zoo noch im Zirkus. Sie werde ihr Kind bekommen, wie alle anderen auch, und zwar auf dem Rücken mit gespreizten Beinen. Ganz einfach, weil er dann eingreifen könne, falls es Probleme gäbe.«
    Jennifer wollte auch ohne Betäubung gebären, damit sie spüren kann, wie sich eine Geburt anfühlt. »Ich habe noch nie von Frauen gehört, dass sie wahnsinnig leiden wollen, um ein Kind zu bekommen«, so Eric.
    Was Eric und Jennifer so besonders macht, ist die »Croissant-Story«: Als Jennifer Wehen bekam, stellte sich schnell heraus, dass sie ihre ganzen Geburtspläne über den Haufen werfen musste: Sie brauchte einen Kaiserschnitt. Der Arzt schickte Eric ins Wartezimmer. Irgendwann bekam Jennifer ein gesundes Mädchen. Anschließend erwähnte Eric im Aufwachraum, dass er soeben ein Croissant gegessen habe.
    Drei Jahre später gerät Jennifer immer noch in Rage, wenn sie an dieses Gebäckstück denkt: »Eric war während der gesamten Prozedur gar nicht wirklich im Warteraum. Er ist rausgegangen, um ein Croissant zu kaufen! Ich werde in den OP gefahren, und Eric verlässt die Klinik, geht in eine Bäckerei und kauft sich Croissants. Er kehrt zurück und isst seine Croissants.«
    So hatte Jennifer sich das eigentlich nicht vorgestellt. »Mein Mann hätte nägelkauend dasitzen und denken müssen: Wird es ein Junge oder ein Mädchen?« Sie erwähnt auch, dass es einen Snackautomaten in der Nähe des Warteraums gab. Er hätte sich eine Tüte Erdnüsse ziehen können.
    Erzählt Eric seine Version der Geschichte, regt er sich auch auf. Ja, es habe einen Snackautomaten gegeben. »Aber ich stand unter Stress und brauchte dringend Zucker«, sagt er. »Ich wusste, dass es um die Ecke eine Bäckerei gibt, doch dann war sie doch etwas weiter weg als gedacht. Aber sie ist um sieben in den OP geschoben worden. Ich wusste, dass sie eine Stunde zur Vorbereitung brauchen, und so habe ich mir ausgerechnet, dass sie gegen elf wieder da ist. Und in dieser langen Zeit habe ich doch tatsächlich eine Viertelstunde damit verbracht, mir etwas zu essen zu holen.«
    Zunächst sehe ich in der »Croissant-Story« eine klassische »Männer-sind-vom-Mars«-Geschichte. Aber schließlich wird mir klar, dass sie eine franko-amerikanische Parabel ist. Für Jennifer bedeutete Erics egoistischer Croissantkauf, dass er sein eigenes Wohl vor das seiner Familie und des Neugeborenen stellt. Sie hatte Angst, er könnte seine Vaterrolle nicht ernst genug nehmen.
    Für Eric hat das nichts dergleichen bedeutet. Er hatte das Gefühl, genügend an der Geburt beteiligt zu sein, und ist ein extrem engagierter Vater. Aber in diesem Moment war er gelassen, distanziert und egoistisch genug, die Klinik zu verlassen. Er wollte Vater werden, aber auch ein Croissant essen. »In Amerika scheint es nicht weiter schwer zu sein, sich deswegen ein schlechtes

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