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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Druckerman
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Schlafregeln betrifft, als ich gerade in New York bin. Ich bin nach Hause geflogen, um Freunde und Bekannte zu besuchen, aber auch, um ein Gefühl für die amerikanische Erziehung zu bekommen. Einen Teil meines Aufenthalts verbringe ich in Tribeca, dem Viertel in Lower Manhattan, in dem Fabrikbauten in schicke Lofts umgewandelt wurden. Ich halte mich dort auf einem Spielplatz auf und plaudere mit anderen Müttern.
    Als das Gespräch darauf kommt, wie ihre Kinder schlafen, erwarte ich, dass die Mütter alle möglichen Theorien anführen, um dann die üblichen Klagelieder über Einjährige zu singen, die immer noch zwei Mal pro Nacht aufwachen. Aber dem ist nicht so. Stattdessen sagen sie, viele Babys in Tribeca schliefen mit etwa zwei Monaten durch. Eine Mutter, eine Fotografin, erwähnt, sie und viele andere brächten ihre Kinder zu einem Kinderarzt namens Michel Cohen. Sie spricht seinen Vornamen »Mischell« aus.
    »Ist er Franzose?«, wage ich zu fragen.
    »Ja.«
    »Ein Franzose aus Frankreich?«, frage ich.
    »Ein Franzose aus Frankreich.«
    Sofort vereinbare ich einen Termin mit Cohen.
    Als ich ihn sehe, wird mir sofort klar, warum er bei den Müttern solchen Anklang findet: Er hat verstrubbeltes braunes Haar, rehbraune Augen und ist tief gebräunt. Obwohl er seit zwanzig Jahren in den Vereinigten Staaten lebt, hat Cohen sich seinen charmanten französischen Akzent und seine Umgangsformen bewahrt (»Wenn ich den Eltern etwas raten darf …«) Er hat sein Tagespensum absolviert und schlägt vor, dass wir uns draußen in ein Café setzen. Ich stimme bereitwillig zu.
    Viele von Cohens Empfehlungen decken sich genau mit dem, was Eltern in Paris heute so tun. Wie die Franzosen entwöhnt er die Kinder mit Gemüse und Obst statt mit langweiligen Getreideflocken. Er ist nicht von Allergien besessen. Er spricht von »Rhythmus« und davon, dass man Kindern beibringen müsse, mit Frustration umzugehen. Er schätzt Gelassenheit. Und er legt Wert auf die Lebensqualität der Eltern, nicht nur auf das Wohlbefinden des Kindes.
    Und wie bringt Cohen Tribecas Babys dazu, nachts durchzuschlafen?
    »Das Erste, was ich sage, ist: Wenn Ihr Kind auf der Welt ist, stürzen Sie sich nachts bitte nicht sofort darauf«, so Cohen. »Geben Sie Ihrem Kind die Chance, sich selbst zu beruhigen. Nie reflexhaft reagieren, nicht einmal direkt nach der Geburt.«
    Vielleicht liegt es am Bier (oder an Cohens rehbraunen Augen), aber ich zucke zusammen, als er das sagt. Mir wird klar, dass ich schon oft gesehen habe, wie französische Mütter und Nannys einen kurzen Moment warten, bevor sie sich um ihre Babys kümmern. Mir war nicht klar, dass das Absicht war, ja dass das überhaupt eine Rolle gespielt hat. Es hat mich ehrlich gesagt etwas verstört. Ich finde nicht, dass man Babys warten lassen soll. Aber erklärt das vielleicht, warum französische Babys schon so bald durchschlafen, wenn auch vermutlich mit ein paar Tränen im Auge?
    Cohens Rat, ein bisschen zu warten, scheint die natürliche Konsequenz dessen zu sein, ein Baby zu »beobachten«. Eine Mutter beobachtet nicht wirklich, wenn sie sofort aufspringt und das Baby auf den Arm nimmt, sobald es weint.
    Für Cohen ist diese kleine Pause – ich bin versucht, sie »la pause« zu nennen – von grundlegender Bedeutung. Setzt man sie ein, so Cohen, wirke sich das massiv auf den Schlaf der Babys aus. »Die Eltern, die nicht so schnell auf nächtliches Quengeln reagiert haben, hatten immer Kinder, die gute Schläfer waren, während diejenigen, die sofort aufgesprungen sind, Kinder hatten, die nachts mehrmals aufwachten – und zwar so lange, bis es unerträglich wurde.« Die meisten Babys, die Cohen vorgestellt werden, werden gestillt. Aber das scheint keine Rolle zu spielen.
    Ein guter Grund für das kurze Abwarten ist der, dass sich kleine Babys im Schlaf viel bewegen und dabei oft Laute von sich geben. Das ist ganz normal und völlig in Ordnung. Eilen die Eltern aber sofort herbei und nehmen das Baby jedes Mal hoch, wenn es nur Piep macht, wecken sie es nur noch mehr auf.
    Ein weiteres Argument für die kleine Pause ist, dass Babys zwischen ihren ein- bis zweistündigen Schlafzyklen immer wieder aufwachen. Es ist normal, dass sie dann ein wenig weinen, weil sie noch lernen müssen, diese Zyklen miteinander zu verbinden. Interpretiert ein Elternteil diesen Schrei automatisch als Forderung nach Nahrung oder als Anzeichen für Unwohlsein und kommt, um das Baby zu trösten, wird es sich schwertun,

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