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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Druckerman
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führt nicht nur zu sehr vielen Kuchen. Es bringt den Kindern auch bei, sich zu kontrollieren. Aufgrund des genauen Abmessens und der korrekten Reihenfolge, in der die Zutaten vermischt werden müssen, ist Backen eine perfekte Lektion in Geduld. Hinzu kommt, dass die französischen Familien den Kuchen im Gegensatz zu mir nicht gleich verschlingen, sobald er aus dem Ofen kommt. Sie backen in der Regel vormittags oder am frühen Nachmittag, warten und essen den Kuchen oder die Muffins erst als goûter – als Nachmittagssnack.
    Eine Welt, in der Mütter nicht mit Taschen voller Knabberzeug herumlaufen, um Angstattacken zu überbrücken, ist für mich schier unvorstellbar. Jennifer, Mutter und Reporterin für die New York Times , beklagt sich, dass alles, was sie mit ihrer Tochter unternimmt, von Snacks begleitet wird. 12 »Anscheinend hat unsere Gesellschaft beschlossen, dass Kinder unmöglich an irgendeiner Aktivität teilnehmen können, ohne dass man ihnen gleichzeitig was hinter die Kiemen schiebt«, schreibt sie.
    In Frankreich ist das goûter die einzige offizielle Snackmahlzeit. Sie wird normalerweise gegen halb fünf Uhr nachmittags eingenommen, also wenn die Kinder aus der Schule kommen. Sie ist zeitlich genauso fest verankert wie die anderen Mahlzeiten und wird unter Kindern strikt eingehalten.
    Das goûter erklärt auch, warum die französischen Kinder, die ich im Restaurant sehe, so gute Esser sind: Sie haben wirklich Hunger, weil sie nicht den ganzen Tag über Snacks bekommen haben. (Erwachsene trinken vielleicht eine Tasse Kaffee, essen dazu aber nur selten etwas.)
    Martine behauptet, sie würde sich nicht bewusst vornehmen, ihren Kindern Geduld beizubringen. Aber die täglichen Familienrituale, die ich auch in vielen anderen französischen Mittelschichtshaushalten beobachten konnte, sind eine einzige Anleitung dazu, Belohnungen aufzuschieben.
    Martine sagt, sie kaufe Paulette oft Süßigkeiten … Aber Paulette darf sie nicht eher essen, bis es Zeit fürs goûter ist, auch wenn das stundenlanges Warten bedeutet. Paulette ist daran gewöhnt. Martine muss sie manchmal an diese Regel erinnern, aber Paulette protestiert nicht.
    Sogar das goûter gibt es nicht bedingungslos. »Das Tolle war, dass es Kuchen gab«, erinnert sich Clotilde Dusoulier, eine französische Kochbuchautorin. »Aber die Kehrseite der Medaille war, dass meine Mutter immer gesagt hat, ›das reicht‹. Es diente auch dazu, den Kindern beizubringen, sich zu beherrschen.« Clotilde, die jetzt Anfang dreißig ist, sagt, sie habe als Kind so gut wie jedes Wochenende mit ihrer Mutter gebacken.
    Nicht nur was und wann französische Familien essen, macht ihre Mahlzeiten zu einem kleinen Geduldstraining. Sondern auch wie und mit wem gegessen wird: Französische Kinder sind es von klein auf gewohnt, mehrere Gänge zu essen, zu denen mindestens eine Vorspeise, ein Hauptgericht und ein Nachtisch gehören. Sie sind es auch gewohnt, mit ihren Eltern zu essen, was das Geduldüben unterstützt. Laut Unicef nehmen 90 Prozent der fünfzehnjährigen Franzosen die tägliche Hauptmahlzeit mit ihren Eltern ein, und das mehrmals die Woche. In den Vereinigten Staaten und in Großbritannien sind es ungefähr 67 Prozent, in Deutschland etwa 80. Und diese Mahlzeiten werden nicht hastig hinuntergeschlungen, sondern in Ruhe gemeinsam genossen.
    Zum Glück ist goûter -Zeit, als die Cupcakes bei Martine aus dem Ofen kommen. Paulette ist selig und isst zwei Stück. Aber Martine kostet nicht mal davon. Sie scheint sich eingeredet zu haben, dass Cupcakes nur etwas für Kinder sind, damit sie sie nicht isst. (Leider geht sie wohl davon aus, dass ich das genauso sehe, und bietet mir auch keinen an.)
    Das ist auch so eine Methode, mit der französische Eltern ihren Kindern das Warten beibringen: Sie machen ihnen das Warten vor. Kleine Mädchen, die sehen, dass ihre Mutter den Cupcake nicht isst, wachsen sicherlich zu Frauen heran, die ihn auch nicht essen. (Meine Mutter hat viele fantastische Eigenschaften, aber sie isst den Cupcake jedes Mal.)
    Mir fällt auf, dass Martine nicht von ihrer Tochter erwartet, ein Ausbund an Geduld zu sein. Sie geht davon aus, dass Paulette manchmal nach Dingen greifen und Fehler machen wird. Aber Martine reagiert nicht so übertrieben darauf wie ich. Sie weiß, dass das viele Backen und Warten dazu dient, etwas zu lehren.
    Mit anderen Worten: Martine ist sogar geduldig, wenn es darum geht, ihren Kindern Geduld beizubringen.
    Als Paulette

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