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Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)

Titel: Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pamela Druckerman
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bei uns vorbei, nachdem sie tagsüber Paris besichtigt haben, wobei Rachel, ihre Jüngste, wohl einen hysterischen Anfall nach dem anderen bekommen hat. Als das Abendessen, das ich zubereite, noch nicht fertig ist, kommen beide Elternteile in die Küche und sagen, ihre Töchter könnten nicht mehr länger warten. Als wir uns endlich hinsetzen, erlauben sie, dass Rachel unter den Tisch krabbelt, während wir essen. Die Eltern sagen, Rachel sei müde und könne sich deshalb nicht mehr zusammenreißen. Dann geben sie damit an, wie toll die Kleine schon lesen kann und dass sie vermutlich in einen Kindergarten für Hochbegabte aufgenommen wird.
    Während des Essens spüre ich, wie etwas meinen Fuß berührt. »Rachel kitzelt mich«, sage ich nervös zu ihren Eltern. Kurz darauf schreie ich auf. Das hochbegabte Kind hat mich gebissen.
    Kindern Grenzen zu setzen ist selbstverständlich keine französische Erfindung. Viele amerikanische Eltern und Experten halten Grenzen für äußerst wichtig. Aber in den Vereinigten Staaten kollidiert diese Überzeugung mit der Vorstellung, dass sich Kinder frei entfalten sollen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass das, was Bean will – Apfelsaft statt Wasser, ein Prinzessinnenkleid im Park anziehen, getragen werden, statt im Kinderwagen sitzen –, unabänderlich und ursprünglich ist. Ich gebe nicht immer nach. Aber mich ihrem Drängen ständig widersetzen zu müssen fühlt sich für mich falsch an.
    Mir fällt schon die Vorstellung schwer, dass Bean ein Vier-Gänge-Menü isst oder leise spielt, wenn ich telefoniere. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich das überhaupt will. Werde ich damit ihren freien, kreativen Geist brechen? Werde ich sie daran hindern, sich voll und ganz zu entfalten, ihr die Möglichkeit nehmen, das nächste Facebook zu gründen? Angesichts all dieser Zweifel kapituliere ich oft.
    Und da bin ich nicht die Einzige. Zu Beans viertem Kindergeburtstag kommt eine ihrer englischsprachigen Freundinnen mit einem eingepackten Geschenk für Bean und mit einem für sich selbst. Ihre Mutter erzählt, sie habe im Geschäft so lange getobt, bis sie dasselbe Geschenk bekommen habe. Meine Freundin Nancy erzählt mir von einer neuen Erziehungsphilosophie, die dieses Kräftemessen beenden soll: Man konfrontiert das Kind niemals mit dem Wort »nein«, damit es das Wort nicht gegen seine Eltern anwenden kann.
    In Frankreich gibt es keine gemischten Gefühle, was das Wort » non « betrifft. »Man muss seinem Kind beibringen, mit Frustration umzugehen«, lautet eine französische Erziehungsmaxime. In meiner Lieblingsreihe französischer Kinderbücher, princesse parfaite (Prinzessin Perfekt) zerrt die Heldin Zoé ihre Mutter zu einem Crêpe-Stand. Im Text steht: »Als sie an der Crêperie vorbeigehen, macht Zoé ihr eine Szene. Sie wollte einen Crêpe mit Brombeermarmelade. Ihre Mutter hat Nein gesagt, denn sie hat gerade erst zu Mittag gegessen.«
    Auf der nächsten Seite sieht man Zoé in der Bäckerei. Sie ist so angezogen wie die Prinzessin Perfekt auf dem Einband. Diesmal hält sie sich die Augen zu, damit sie die Berge frischer Brioches nicht sieht. Sie ist sage . »Damit Zoé nicht in Versuchung geführt wird, schaut sie weg«, heißt es im Text.
    Es fällt auf, dass Zoé in der ersten Szene, in der sie nicht bekommt, was sie will, weint. Aber in der zweiten, in der sie sich ablenkt, lächelt sie. Die Botschaft ist die, dass Kinder stets geneigt sind, ihren Schwächen nachzugeben. Aber dass sie glücklicher sind, wenn sie sich sage verhalten und sich beherrschen können. (Es fällt ebenfalls auf, dass Pariser Eltern ihre kleinen Mädchen nicht im Prinzessinnen-Outfit einkaufen gehen lassen. Die bleiben Kinderfesten vorbehalten oder dienen dazu, sich zu Hause damit zu verkleiden.)
    In seinem Buch Un enfant heureux (»Ein glückliches Kind«) schreibt der französische Psychologe Didier Pleux, ein Kind mache man vor allem dadurch glücklich, dass man es frustriere. »Das heißt nicht, dass man es am Spielen hindern oder es nicht in den Arm nehmen soll«, so Pleux. »Selbstverständlich sollte man auf seine Bedürfnisse, seine Rhythmen und seine Persönlichkeit Rücksicht nehmen. Es bedeutet nur, dass das Kind von klein auf lernen muss, dass es nicht allein auf der Welt ist und dass es für alles eine Zeit gibt.«
    Ich staune, wie anders die französischen Erwartungen gegenüber kleinen Kindern sind, als ich in unserem Urlaub am Meer mit Bean in einen Laden mit perfekt

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