Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
wenn unsere Kinder um Sandförmchen streiten. Versuche ich, das Eis zu brechen, indem ich »Wie alt ist er?« frage, murmeln sie eine Zahl und sehen mich an, als wäre ich ein Stalker. Sie fragen so gut wie nie etwas zurück. Und wenn doch, stellt sich heraus, dass sie Italienerinnen sind.
Gut, ich lebe in Paris, einer der unfreundlichsten Städte der Welt. Das verächtliche Lächeln ist mit Sicherheit hier erfunden worden. Sogar Franzosen aus anderen Landesteilen sagen mir, dass sie die Pariser als kühl und distanziert empfinden.
Wahrscheinlich sollte ich diese Frauen ebenfalls ignorieren. Aber ich kann einfach nicht anders: Sie machen mich neugierig. Zunächst einmal sehen viele von ihnen deutlich besser aus als Amerikanerinnen. Wenn ich Bean morgens in der crêche abgebe, habe ich die Haare zum Pferdeschwanz gebunden und trage die Klamotten, die ich neben dem Bett auf dem Fußboden gefunden habe. Französische Mütter kommen perfekt frisiert und parfümiert. Mir fällt nicht mal mehr die Kinnlade herunter, wenn sie in hochhackigen Stiefeln und Skinny-Jeans durch den Park stolzieren und Kinderwägen mit Säuglingen vor sich herschieben.
Aber diese Mütter sind nicht nur chic, sie sind auch seltsam reserviert. Sie brüllen die Namen ihrer Kinder nicht durch den ganzen Park oder gehen mit einem kreischenden Kleinkind auf die Straße. Sie haben Haltung. Sie strahlen nicht diese berüchtigte mütterliche Mischung aus Angst und Erschöpfung aus und scheinen auch nicht ständig am Rande eines Nervenzusammenbruchs zu stehen wie ich und die meisten amerikanischen Mütter aus meinem Bekanntenkreis. Wäre kein Kind bei ihnen, würde man gar nicht merken, dass sie Mütter sind.
Einerseits würde ich diese Frauen am liebsten mit fetter pâté zwangsfüttern. Andererseits kann ich es kaum erwarten, ihre Geheimnisse zu erfahren: Kinder, die brav durchschlafen, warten können und nicht quengeln, helfen einer Mutter bestimmt, so gelassen zu bleiben und so souverän auszusehen. Aber da muss noch mehr dahinterstecken! Kämpfen sie insgeheim mit Sorgen? Wo ist ihr Bauchfett? Sind französische Mütter tatsächlich perfekt? Und wenn ja, sind sie glücklich?
Nach der Geburt eines Kindes besteht der erste sichtbare Unterschied zwischen französischen und amerikanischen Müttern im Stillen. Für uns angloamerikanische Mütter ist die Stilldauer eine Art Leistungsmerkmal der guten Mutterschaft …
Viele amerikanische Mütter aus der Mittelschicht betrachten Säuglingsnahrung als eine Form von Kindesmisshandlung. Und dass das Stillen Durchhaltevermögen erfordert, Unannehmlichkeiten und in manchen Fällen körperliche Beschwerden mit sich bringt, macht es erst recht zum Statussymbol.
Eine Amerikanerin, die in Frankreich stillt, bekommt extra Bonuspunkte, weil das Stillen hier nicht unterstützt wird und viele den Anblick einer Frau mit einem Kind an der Brust verstörend finden. »Die Stillende gilt eher als Kuriosum, als jemand, der seine Pflicht übererfüllt«, so ein Elternratgeber, der von Message , einer Pariser Organisation für angloamerikanische Mütter, herausgegeben wird.
Wir Expats erzählen uns Horrorgeschichten über französische Ärzte, die beim Anblick von wunden Brustwarzen oder verstopften Milchgängen den Müttern unbekümmert empfehlen, auf Fläschchennahrung umzusteigen. Um dem etwas entgegenzusetzen, hat Message eine eigene Freiwilligenarmee aus Breastfeeding supporters (»Stillbefürwortern«) ins Leben gerufen. Bevor ich Bean bekam, warnte mich eine von ihnen, mein Kind nach der Entbindung niemals dem Krankenhauspersonal zu überlassen, um Schlaf zu bekommen, weil die Säuglingsschwestern sich einfach über meine Anweisungen hinwegsetzen und dem Baby das Fläschchen geben würden, wenn es weint. Aus dem Mund dieser Frau klang das Wort »Saugverwirrung« schlimmer als »Autismus«.
Die französische Negativhaltung dem Stillen gegenüber führt dazu, dass sich angloamerikanische Mütter hier fühlen wie milchspendende Superheldinnen im Kampf gegen böse Ärzte und Fremde, die ihren Kindern die Antikörper wegnehmen wollen. In Chatrooms zählen Expat-Mütter die seltsamsten Orte in Paris auf, an denen sie bereits gestillt haben: in der Kathedrale Sacre Cœur , auf einem Grab auf dem Friedhof Père Lachaise, auf einer Cocktailparty im Four-Seasons-Hotel George V. Eine Mutter schreibt, sie habe ihr Baby am Beschwerdeschalter von EasyJet am Charles-de-Gaulles-Flughafen gestillt: »Ich habe es ihnen mehr oder
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