Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
Christine, die Journalistin mit den beiden kleinen Kindern. »Wir selbst haben auch alle Säuglingsnahrung bekommen.«
Ich sehe das weniger gelassen. Ehrlich gesagt habe ich nach meinem Gespräch mit der Stillberaterin solche Panik, dass ich nach Beans Geburt im Krankenhaus darauf bestehe, dass sie rund um die Uhr bei mir im Zimmer bleibt. Ich wache jedes Mal auf, wenn sie wimmert, und bekomme so gut wie keinen Schlaf.
Diese Qualen und diese Selbstaufopferung kommen mir ganz natürlich vor. Aber nach ein paar Tagen merke ich, dass ich anscheinend die einzige Mutter auf der Neugeborenenstation bin, die sich dieser Tortur unterzieht. Die anderen, sogar diejenigen, die stillen, übergeben ihre Babys nachts dem Personal. Sie finden, ein Anrecht auf ein paar Stunden Schlaf zu haben.
Irgendwann bin ich so fertig, dass ich das ebenfalls ausprobiere, auch wenn ich mich schwer dafür verurteile. Im Nu bin ich bekehrt, und Bean scheint es deswegen auch nicht schlechter zu gehen. Anders als böse Gerüchte behaupten, sind die Schwestern und puéricultrices auf der Station gern bereit, sie mir ins Zimmer zu schieben, wenn sie gestillt werden muss, und holen sie danach auch wieder ab.
In Frankreich wird das Stillen wahrscheinlich nie auf fruchtbaren Boden fallen. Dafür gibt es die Protection maternelle et infantile . Das ist die Behörde zum Schutz von Mutter und Kind, die auch die crêches überwacht. Sie unterhält Zentren in ganz Paris, die für alle Kinder kostenlose Kontrolluntersuchungen und Impfungen anbieten – auch für Kinder, die illegal in Frankreich leben. Mittelschicht-Eltern suchen sie eher selten auf, da die Regierung auch einen Großteil der Kosten für privatärztliche Behandlungen übernimmt.
Ich bin nicht scharf auf eine staatliche Untersuchung. Wird es dort unpersönlich zugehen? Wird es dort sauber sein? Doch ein wesentlicher Faktor überzeugt mich schließlich: Die Untersuchung ist völlig kostenlos. Unser PMI -Zentrum ist gerade mal zehn Minuten zu Fuß von zu Hause weg. Wie sich herausstellt, werden wir bei jedem Besuch vom selben Arzt behandelt. Es gibt einen riesigen Spielbereich im blitzsauberen Warteraum. Das PMI schickt auch eine puéricultrice vorbei, die schaut, ob alles in Ordnung ist, nachdem man mit dem Baby aus dem Krankenhaus gekommen ist. Hat man postnatale Depressionen, bekommt man sogar einen Psychologen an die Seite gestellt. All das ist kostenlos, es gibt nicht einmal eine Rechnung. Diese Rundum-Versorgung kann die paar Milliliter Brustmilch locker aufwiegen.
Was das Stillen angeht, gehe ich trotzdem kein Risiko ein. Laut der American Academy of Pediatrics sollte ich zwölf Monate lang stillen, also tue ich das auch mehr oder weniger auf den Tag genau. An Beans erstem Geburtstag wird sie ein letztes Mal gestillt. Manchmal genieße ich das Stillen. Aber oft finde ich es nervig, aus dem, was ich gerade tue, herausgerissen zu werden und zum Stillen nach Hause oder zu einer Verabredung mit meiner elektrischen Milchpumpe eilen zu müssen. Im Grunde halte ich nur deswegen durch, weil ich von den gesundheitlichen Vorteilen gelesen habe.
Der amerikanische Gruppenzwang zum Stillen dient der Gesundheit der Nation, aber er macht uns auch ganz schön neurotisch. Französinnen riechen die damit verbundenen Ängste und Schuldgefühle schon von Weitem und machen einen großen Bogen darum.
Nach jahrelangem Werben fürs Stillen musste Dr. Bitoun feststellen, dass sich französische Mütter in der Regel nicht mal von den Gesundheitsvorteilen in Bezug auf den IQ und das Immunoglobulin A überzeugen lassen. Wenn sie stillen, dann nur, weil behauptet wird, sie und das Baby würden das genießen. »Aus Erfahrung wissen wir, dass das Genuss-Argument das einzige ist, das funktioniert.«
Französische Mütter mögen entspannt in Bezug aufs Stillen sein, aber nicht wenn es darum geht, nach der Geburt figurmäßig wieder in Form zu kommen. Ich bin schockiert zu hören, dass die dünne Kellnerin in dem Café, in das ich meist zum Schreiben gehe, ein sechs Jahre altes Kind hat. Ich hatte sie für ein dreiundzwanzigjähriges It-Girl gehalten.
In Frankreich gibt es keine Gründe dafür, warum eine Frau nicht sexy sein sollte, bloß weil sie Kinder hat. Nicht selten sagen Franzosen, Mütter strahlten eine aufregende plenitude (Glück und geistige Fülle) aus.
Natürlich gibt es auch Amerikanerinnen, die rasch ihre Babypfunde wieder loswerden. Aber leider noch mehr Belege für das Gegenteil. Ein Modeartikel
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