Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
Absolventen einer Art Eliteschule für Kleinkindbetreuung zu sehen. Und ich kann ihr Selbstbewusstsein verstehen: Sie haben sich in ihre Materie eingearbeitet und den Respekt der Eltern verdient. Ich stehe tief in ihrer Schuld. In den knapp drei Jahren, die Bean in die Krippe geht, lernt sie, aufs Töpfchen zu gehen und Tischmanieren und bekommt einen Intensivkurs in Französisch.
In Beans drittem Jahr in der crêche befürchte ich, die Tage könnten ihr zu lang werden und sie werde nicht ausreichend stimuliert. Ich überlege mir, sie in die Vorschule zu schicken. Aber Bean scheint es in der crêche nach wie vor zu gefallen. Sie redet die ganze Zeit von Maky und Lila, ihren beiden besten Freundinnen. Interessanterweise fühlt sie sich zu anderen Ausländerkindern hingezogen: Lilas Eltern sind aus Marokko und Japan, Makys Vater stammt aus dem Senegal. Unsere Tochter hat tatsächlich Kontakte geknüpft. Als Simon und ich Bean über ein verlängertes Wochenende nach Barcelona mitnehmen, fragt sie uns ständig, wo die anderen Kinder sind.
Die Kinder in Beans Gruppe verbringen viel Zeit damit, herumzurennen und auf dem Kunstrasen herumzutoben, wo die kleinen Tretroller und Kettcars stehen. Bean ist normalerweise dort, wenn ich sie abhole. Sobald sie mich sieht, saust sie zu mir und wirft sich überglücklich in meine Arme, während es nur so aus ihr heraussprudelt, was sie den ganzen Tag über gemacht hat.
An Beans letztem Tag in der Krippe, an dem es eine Abschiedsparty gab und ihr Spind ausgeräumt wurde, umarmt sie ihre Hauptbetreuerin Sylvie und gibt ihr einen dicken Kuss. Ich kenne Sylvie als sehr professionelle Erzieherin. Aber als Bean sie umarmt, beginnt Sylvie zu weinen, und ich weine gleich mit.
Als die Krippenzeit vorbei ist, haben Simon und ich das Gefühl, dass sie Bean gutgetan hat. Trotzdem fühlten wir uns oft schuldig, als wir sie dort Tag für Tag abgaben. Und wir schaffen es auch nicht, die alarmierenden amerikanischen Schlagzeilen zu ignorieren, die behaupten, wie schädlich so eine Tagesbetreuung für Kinder ist.
Eine amerikanische Studie ist der Frage vieler Eltern nachgegangen, wie sich die Kleinkindbetreuung auf das spätere Leben der Zöglinge auswirkt. 29
Eine der wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Studie ist die, dass frühe externe Kleinkindbetreuung gar keine so große Rolle spielt: »Die Eltern spielen eine deutlich größere Rolle für die Kindesentwicklung als die Art, die Häufigkeit oder Qualität der Kindertagesbetreuung«, erklärt ein Experte. Kinder schnitten dann besser ab, wenn ihre Eltern gebildeter und wohlhabender waren oder wenn es zu Hause Bücher und Spielzeug gab und sie »lehrreiche Erfahrungen« machen konnte, wie beispielsweise eine Bücherei zu besuchen. Ob das betreffende Kind dreißig oder mehr Stunden eine Tageseinrichtung besucht hat oder zu Hause von seiner Mutter betreut wurde, war dabei völlig unwesentlich.
Die Studie betont, dass die Einfühlsamkeit der Mutter besonders wichtig ist – sprich, wie gut sie sich in ihr Kind hineinversetzen kann. Dasselbe gilt für Tageseinrichtungen: Einer der an der Studie beteiligten Forscher 30 schreibt, dass Kinder eine »qualitativ hochwertige« Betreuung bekommen, wenn die Erzieherin »auf die Bedürfnisse des Kindes eingeht, auf seine verbalen und nonverbalen Signale reagiert, seine Neugier und Wissbegier weckt und warmherzig, liebevoll und hilfsbereit ist.«
Kinder schnitten dann besser ab, wenn sie eine einfühlsame Bezugsperson hatten, ganz egal ob das nun eine Nanny, eine Großmutter oder eine Erzieherin war. »Es ist unmöglich, ein Klassenzimmer zu betreten und ohne irgendwelche Zusatzinformationen die Kinder herauszupicken, die eine Tagesstätte besucht haben«, so der Forscher.
Wir machen uns so viele Gedanken über die kognitive Entwicklung unserer Kinder, dass wir ganz vergessen zu fragen, ob sie in der Krippe glücklich sind und ob das eine positive Erfahrung für sie bedeutet. Genau darum geht es den französischen Eltern.
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Sogar meine Mutter gewöhnt sich an die crêche . Sie fängt an, sie auch so zu nennen, statt »Kindertagesstätte«, was sicherlich auch dazu beiträgt. Die crêche hat für uns handfeste Vorteile: Sie steigert unser Zugehörigkeitsgefühl zu Frankreich, zumindest zu unserem Viertel. Zum Glück führt das dazu, dass wir unsere »Sollen wir nun in Paris bleiben oder nicht?«-Diskussion aussetzen. Wir können uns nicht vorstellen, irgendwohin zu ziehen, wo es keine anständige,
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