Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
Vollzeit arbeiten kann, wenn meine Kinder die Grundschule besuchen«, gesteht sie. Kurz darauf entschuldigt sie sich und eilt zu ihrem Wagen, um eines ihrer Kinder irgendwohin zu chauffieren.
Dass der französische Staat für die Kinderbetreuung sorgt und diese auch noch finanziell unterstützt, erleichtert französischen Müttern das Leben. Aber als ich wieder in Frankreich bin, stelle ich fest, dass sie sich das Leben auch selbst leichter machen. Wenn sich in Frankreich zwei Kinder zum Spielen verabreden, dann läuft dies so ab, dass ich Bean bei ihrer Freundin absetze und gleich wieder fahre. (Meine angloamerikanischen Freundinnen gehen davon aus, dass ich die ganze Zeit dabeibleibe.) Französische Eltern sind nicht unfreundlich, sondern nur praktisch veranlagt. Sie wissen einfach, dass ich noch anderes zu erledigen habe und die Zeit ohne Bean gut nutzen kann. Manchmal bleibe ich kurz auf einen Kaffee, wenn ich sie wieder abhole.
Dasselbe gilt für Kindergeburtstage. Amerikanische und britische Mütter erwarten von mir, dass ich dableibe und mit ihnen plaudere, und das stundenlang. Es spricht zwar niemand laut aus, aber ich glaube, wir tun das insgeheim auch deshalb, weil wir überwachen wollen, dass es unseren Kindern gut geht.
Aber mit drei Jahren wird ein Kind in Frankreich einfach nur zum Kindergeburtstag hingebracht. Man verlässt sich darauf, dass es ihm auch ohne die eigenen Eltern gut geht. Die werden in der Regel beim Abholen auf ein Glas Champagner hereingebeten und bekommen zusammen mit den anderen Müttern und Vätern etwas zu knabbern. Simon und ich sind begeistert, wenn solche Einladungen eintrudeln. Das ist Gratis-Babysitten inklusive Cocktailparty.
In Frankreich gibt es eine Bezeichnung für Mütter, die ihre gesamte Freizeit damit verbringen, die Kinder hin- und herzukutschieren: maman-taxi . Und das ist nicht als Kompliment gemeint. Nathalie, eine Pariser Architektin, erzählt mir, dass sie einen Babysitter engagiert hat, der ihre drei Kinder zu ihren Samstagvormittag-Aktivitäten bringt. Ihr Mann und sie gehen in der Zwischenzeit zusammen essen. »Wenn ich zu Hause bin, bin ich zu hundert Prozent Mutter, aber wenn ich weg bin, bin ich weg«, so Nathalie.
Virginie, mein Diät-Guru, trifft sich an den meisten Vormittagen mit Müttern von Kindern, die dieselbe Grundschule besuchen wie ihr Sohn. Ich stoße eines Morgens dazu und bringe das Gespräch auf das Thema Wahlfächer. Sofort wird der Ton scharf. Virginie spricht für die ganze Gruppe, wenn sie sagt: »Man muss Kinder auch mal in Frieden lassen, sie müssen sich zu Hause langweilen und spielen können.«
Virginie und ihre Freundinnen sind keine Loser. Sie haben studiert und tolle Lebensläufe. Sie sind begeisterte Mütter. Ihre Wohnungen sind voller Bücher. Ihre Kinder bekommen Unterricht im Fechten, Gitarre-, Tennis- und Klavierspielen oder Ringen. Aber die meisten Mütter entscheiden sich nur für ein Wahlfach pro Schuljahr.
Eine der Mütter aus meinem Café, eine hübsche dralle Publizistin (die wie ich versucht, »mehr auf sich zu achten«), erzählt mir, sie schicke ihre Kinder nicht mehr zu Tennisstunden oder so, weil sie die Kurse als »einengend« empfinde.
»Einengend für wen?«, frage ich
»Einengend für mich.« Sie erklärt: »Man bringt sie hin und wartet eine Stunde. Dann muss man wieder hin, um sie abzuholen. Beim Musikunterricht muss man sie abends üben lassen – für mich ist das reine Zeitverschwendung, außerdem brauchen die Kinder das gar nicht. Sie müssen viele Hausaufgaben machen und sind schließlich zu zweit, sodass sie sich gar nicht langweilen können. Sie haben ja sich. Und wir fahren jedes Wochenende zusammen weg.«
Ich staune darüber, wie diese kleinen Entscheidungen und klaren Einstellungen zu einem ganz anderen Alltag für französische Mütter führen. Haben sie einen Moment frei, schwärmen sie davon, wie schön es ist, einfach mal abzuschalten und sich zu entspannen.
Beim Friseur reiße ich einen Artikel aus der französischen ELLE. Darin erzählt eine Mutter, sie liebe es, mit ihren beiden Söhnen zum altmodischen Karussell neben dem Eiffelturm zu gehen.
»Während Oscar und Léon versuchen, die Holzringe zu fangen, genieße ich eine halbe Stunde Entspannung pur. In der Regel mache ich mein Handy aus und schalte vollkommen ab, während ich auf sie warte – es ist eine Art Luxus-Babysitter!« Wir lieben dieses Karussell auch, aber ich verbringe meine halbstündige Wartezeit damit, Bean
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