Warum französische Kinder keine Nervensägen sind: Erziehungsgeheimnisse aus Paris (German Edition)
sind eine Falle«, so meine Freundin Sharon, die Literaturagentin. Trifft sie sich mit ihren französischsprachigen Freundinnen auf einen Drink, rufen sie sich gegenseitig wieder ins Bewusstsein, »dass es so etwas wie die perfekte Mutter nicht gibt. Wir tun das, um uns gegenseitig zu beruhigen«.
Die Ansprüche, die an französische Mütter gestellt werden, sind mit Sicherheit nicht ohne: Sie sollen sexy sein, erfolgreich und jeden Abend eine köstliche, selbst gekochte Mahlzeit auf den Tisch bringen. Aber sie versuchen, sich nicht auch noch mit Schuldgefühlen zu belasten. Meine Freundin Danièle, die französische Journalistin, ist Coautorin eines Buches namens La mère parfaite, c’est vous . ( Die perfekte Mutter sind Sie. )
Danièle weiß noch, wie sie ihre Tochter im Alter von fünf Monaten in der crêche abgegeben hat. »Ich habe so gelitten, als ich sie dort lassen musste. Aber wäre ich bei ihr geblieben und wäre nicht wieder arbeiten gegangen, hätte ich noch mehr gelitten.« Sie hat sich gezwungen, sich mit ihren Schuldgefühlen auseinanderzusetzen und sie anschließend loszulassen. Was die Französinnen tatsächlich gegen Schuldgefühle wappnet, ist ihre Überzeugung, dass es nicht gut für Mütter und ihre Kinder ist, ständig zusammenzuglucken. Sie glauben, die Kinder könnten durch die viele Aufmerksamkeit und Fürsorge überbehütet werden oder eine gefürchtete relation fusionelle entwickeln, bei der die Bedürfnisse von Mutter und Kind miteinander verschmelzen. Kinder – sogar Babys und Kleinkinder – sollten ein Eigenleben ohne die ständige Einmischung der Mutter führen dürfen.
»Ist das Kind der einzige Lebensinhalt der Mutter, ist das nicht gut für das Kind«, so Danièle. »Denn was soll aus einem Kind werden, wenn es der einzige Rettungsanker für seine Mutter ist? Ich glaube, diese Meinung teilen alle Psychoanalytiker.«
Diese Trennung von Mutter und Kind kann allerdings auch zu weit gehen: Als die französische Justizministerin Rachida Dati fünf Tage nach der Geburt ihrer Tochter Zohra an ihren Arbeitsplatz zurückkehrt, geht ein Schrei der Empörung durch die französische Presse. In einer Umfrage der französischen ELLE befinden 42 Prozent der Befragten Dati als »zu karrieregeil«. (Dass Dati eine dreiundvierzigjährige alleinerziehende Mutter ist, die sich weigerte, den Namen des Kindsvaters zu nennen, war längst nicht so umstritten.)
Wenn wir Amerikaner von Work-Life-Balance reden, meinen wir damit, dass wir versuchen, unsere verschiedenen Lebensbereiche so unter einen Hut zu bringen, dass wir in keinem davon völlig versagen.
Die Franzosen reden auch von l’équilibre . Aber sie verstehen etwas ganz anderes darunter. Sie versuchen dafür zu sorgen, dass kein Alltagsbereich, auch nicht der der Kindererziehung, die anderen dominiert. Ihr Leben erinnert eher an eine ausgewogene Mahlzeit, die aus einer gesunden Mischung aus Proteinen, Kohlenhydraten, Obst, Gemüse und Süßem besteht. So gesehen hatte Rachida Dati dasselbe Problem wie eine Vollzeitmutter: ein Leben, das zu sehr von einem Bereich dominiert wird.
Natürlich bleibt für viele französische Mütter l’équilibre ein bloßes Ideal. Aber immerhin ein beruhigendes! Bitte ich meine Pariser Freundin Esther, die Vollzeit als Anwältin arbeitet, sich selbst als Mutter zu bewerten, sagt sie etwas so Simples und Unneurotisches, dass es mir schier die Sprache verschlägt. »Normalerweise zweifle ich nicht daran, gut genug zu sein. Und das bin ich, glaube ich, wirklich.«
Inès de la Fressange ist keine normale Französin. In den 1980er-Jahren war sie Karl Lagerfelds größte Muse bei Chanel. Damals wurde de la Fressange gebeten, das neue Gesicht der Marianne, der Nationalfigur der französischen Republik zu sein, das Briefmarken und Rathausbüsten schmückt. Zu den letzten Mariannes zählten Brigitte Bardot und Catherine Deneuve. Nachdem sie einwilligte, trennten sich die Wege von de la Fressange und Lagerfeld. Angeblich soll er gesagt haben, er wolle kein Denkmal einkleiden.
Mit Anfang fünfzig ist de la Fressange nach wie vor eine attraktive rehäugige Brünette, deren endlose Beine unter keinen Caféhaustisch zu passen scheinen. Sie hat ihr eigenes Modelabel und arbeitet nach wie vor als Laufstegmodel. 2009 wurde sie von Lesern der Zeitschrift Madame Figaro zum Inbegriff der Pariserin gewählt.
De la Fressange ist auch eine Mutter. Ihre beiden ebenso langbeinigen, fotogenen Töchter, der Teenager Nine und die
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