Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Übersinnliches sinnlich wahrnehmen zu wollen, und schon erzählt er, Benedikt habe gesehen, wie Engel die bischöfliche Seele in einer Feuerkugel zum Himmel trugen. Eine andere Klostergeschichte Gregors: Ein Mönch stimmte eben noch den Psalmengesang an und fiel plötzlich tot um; alle seine Mitbrüder sahen seine Seele in Gestalt einer Taube aus seinem Mund gen Himmel fliegen (IV 11, 4 p. 48). Gregor erzählt von der Zukunftsschau Sterbender; er berichtet vom Wohlgeruch, den die Leichen Heiliger ausströmen. Sein philosophisch belangloser Text hatte weitreichende Folgen für die mittelalterliche Auffassung des Todes, auch für die Malerei; er läßt abschätzen, wie sehr Denker des 12. und 13. Jahrhunderts das Reflexionsniveau über ‹Seele› erhöht haben. Dabei war Gregor nicht ohne Originalität; er dürfte der erste gewesen sein, der die Seelen Verstorbener schon vor dem allgemeinen Weltgericht in den Himmel bzw. in die Hölle kommen ließ. Nach der älteren Vorstellung ruhten die Seelen Verstorbener bis zum Endgericht am Jüngsten Tag an einem neutralem Ort, Dialogi IV 28, 1 p. 99. Irenäus von Lyon (5, 31, 1) hatte noch die Ansicht, die Seelen der Auserwählten stiegen sofort zum Himmel auf, für häretisch erklärt. Er hatte wie andere ältere Kirchenschriftsteller, auch Augustin, die Seelen zwischen Tod und Weltende in geheimen Warteräumen untergebracht ( De civ. Dei 12, 9). Himmel und Hölle waren bis zur Zeit Gregors leer von Menschenseelen; erst er entschied, das endgültige Seelenschicksal trete nicht erst am Jüngsten Tag ein, sondern sofort mit dem Tod. Seitdem gingen die Verdammten sofort ins ewige Feuer.
Seit dem 12. Jahrhundert diskutierten christliche Denker die antiken und arabischen Texte über Seelenunsterblichkeit. Sie fanden kein einheitliches Bild vor: Was die griechische Übersetzung der Hebräischen Bibel mit ‹Seele, psyche › wiedergab, war nicht die unsterbliche Geistseele platonisierender Philosophen, sondern der Atem, das Leben, der Sitz der Leidenschaften, der einzelne Mensch in seiner Ganzheit. Darauf beschränkte sich das seelentheoretische Erbe der Hebräischen Bibel.
Die Philosophen boten divergierende Ansätze: Eine ‹Seele› zu haben war für griechische Philosophen kein Privileg des Menschen. Aristotelisch gedacht haben auch Pflanzen und Tiere eine Seele. Wo Leben und Selbstbewegung war, da war Seele. Der Kosmos als ganzer hatte eine Seele; das Lebensprinzip des Universums hieß ‹Weltseele›. Um ewiges Glück oder ewige Strafe der Seele theoretisch fassen zu können, brauchten Christen die platonisch-aristotelisch-neuplatonische Rede vom ‹Geist, nus ›. Aber von ihm war nicht sicher, ob er der oberste Teil der Seele war oder ein selbständiges Wesen, das zeitweise in der Seele Platz nahm, um tätig zu sein. Sein Wesen war die Tätigkeit, allgemeine, bleibende und notwendige Inhalte zu denken. Er erfaßte logische, mathematische, ethisch-politische Wahrheiten. War er dann nicht selbst allgemein, bleibend und notwendig? Dann war er unzerstörbar und konnte dauerhaftes Glück genießen oder ewige Bestrafung erleiden. Wenn Gott auf Erden Gerechte leiden ließ, versprachen die Priester Ausgleich im Jenseits; das war schwer zu widerlegen. Nur war kaum einzusehen, wie mit dem überindividuellen Intellekt der individuelle Kern einer konkreten Person überlebte. Platons Geistseele, war, wie gesagt, das Haben des Allgemeinen, Idealen und Notwendigen. Aber christlichen Theologen kam es auf die Individualität der Geistseele an. Sie brauchten die persönliche Belangbarkeit der Bösen und Belohnbarkeit der Guten. Die hebräische Tradition dachte zu stofflich, zu konkret und zu ganzheitlich, um die Idee der abtrennbaren Seele im Jenseits zu entwickeln; die platonische Theorie der Psyche machte zwar begreiflich, daß sie immergültige mathematische Wahrheiten und bleibende ethische Normen erfaßte und dem Ewigen verwandt war, aber sie fügte sich nicht leicht in die bildstarken Vorstellungen von individueller Fortdauer in Himmel oder Hölle. Diese Schwäche wurde akut, als im 13. Jahrhundert das dritte Buch des Aristoteles Über die Seele zusammen mit dem Kommentar des Averroes bekannt wurde.
Hier fand sich eine gründliche Argumentation, daß der Mensch seinem Wesen nach Intellekt sei. Der Geist als das tätige Haben des Allgemeinen und Ewigen überstehe den Zusammenbruch des Leibes; er erstrebe seinem Wesen nach unzerstörbare Seligkeit. Fraglich war seine
Weitere Kostenlose Bücher