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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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hätten Lehren akzeptiert, die jeden menschlichen Intellekt überragen, die jede Wollust des Fleisches verbannen und alles zu verachten gebieten, was in der Welt gilt. Das sei das größte aller Wunder ( maximum miraculorum est ). Es werde noch dadurch verstärkt, daß Gott dieses Wunder vorhergesagt habe.
    Soweit Thomas. Hieß es sonst, Jesu Auferstehung sei das größte Wunder, ist nun die Bekehrung der Welt das allergrößte Wunder.    [23]  
    Daß es nächst der Auferstehung Jesu, dem größten Wunder, noch ein allergrößtes Wunder, die Verbreitung des Christentums, geben soll, klingt zwar seltsam, erklärt sich aber leicht: Alle Großtaten Jahwehs wie Josuas Stillstand der Sonne und alle Wunder Jesu glaubt nur, wer die Glaubwürdigkeit der Bibel anerkennt. Nun sollten aber Wunder der Bestätigung ihrer Glaubwürdigkeit dienen. Dabei die Bibelwunder als geschehen zu unterstellen, war ein Zirkelschluß. Ihn konnte man vermeiden, wenn man sich auf ein jetzt noch für jeden sichtbares Zeichen stützte, die Weltverbreitung des Christentums.
    Deshalb vermutlich hielt Thomas dieses Argument für sein stärkstes. Seine anderen Argumente setzen die Glaubwürdigkeit der Glaubensbücher voraus, die sie begründen sollen. Ich nehme an, dieser Zirkelschluß sei ihm nicht entgangen. Die beweisenden Tatsachen wie Totenerweckungen, die er anführte, waren ihm nur aus der Bibel bekannt und setzten deren göttlichen Ursprung voraus. Zuvor hatte er erklärt, jeder Mensch erkenne den übernatürlichen Charakter eines Ereignisses; er wisse, was keine Kraft der ganzen Natur ( totius naturae ) bewirken könnte. Als sei dies doch nicht so sicher, insistiert er auf der Verbreitung des Christentums in der ganzen Welt. Er nennt die «wunderbare Bekehrung» zum christlichen Glauben das ‹gewisseste Indiz›, indicium certissimum . Hier glaubte er, eine unleugbare Tatsache anzuführen; sie war nicht wie die anderen Beweisstücke aus der Bibel entnommen. Schon Augustin hatte das Ausmaß der Verbreitung des Christentums übertrieben und geschrieben, die Übereinstimmung der Völker ( consensio populorum atque gentium ) beweise seine Wahrheit.    [24]   Er hat sich nicht darum gekümmert, daß die massenhafte Ausbreitung erst nach der Bekehrung Konstantins erfolgte, also nach 312, als die Kaiser das Christentum förderten: Im 3. Jahrhundert waren etwa 5 Prozent der Bevölkerung Christen. In Norditalien gab es zu Beginn des 4. Jahrhunderts etwa ein halbes Dutzend Bischofssitze, um 400 waren es etwa 50. Augustin erwähnte weder die weltlichen Vorteile noch den polizeilichen Druck, die zu diesem Ergebnis führten. Damit ist nicht gesagt, dies seien die einzigen Gründe der Bekehrung gewesen: Die zweite Hälfte des 3. Jahrhunderts brachte schwere Erschütterungen des Imperiums, militärische wie ökonomische. Die Christen hatten – schon vor 300 – soziale Dienste eingerichtet und überregionale Netzwerke entwickelt, zu denen Händler und einfache Soldaten Zugang hatten, wenn sie in einen fremden Teil der weiten römischen Welt kamen. Die Christen zählten in ihren Reihen Wunderheiler und imponierende Asketen; unter ihnen waren mächtige Herren, die heidnische Heiligtümer zerstörten und Bäume fällten, die noch fromm verehrt wurden. Heiligenlegenden, Märtyrerakten und Wundergeschichten zogen an. Es gab ein Zusammenwirken von Thaumaturgen und Großgrundbesitzern, die dem Rat der Bischöfe folgten und ihren Bauern den Götzendienst verboten.
    Thomas von Aquino hielt das Argument aus der ‹Bekehrung der Welt› für sicherer als die Totenerweckungen Jesu und den Sonnenstillstand aufgrund des Befehls von Josua ( Josua  10,13). Dieser Beweisgrund beruhte schon bei Augustin auf mangelnden Kenntnissen der Geographie; in der Lebenszeit des Thomas hing die Hälfte dieser Welt dem Islam an, und er ging daran, dessen Glaubwürdigkeit zu widerlegen: Mohammed habe sich auf die Gewalt seiner Waffen berufen, aber auch Räuber und Tyrannen besäßen Waffen. Der Islam habe sich nicht an Weise und Intellektuelle gerichtet, die in der Argumentationskunst gewandt waren, sondern an tierische Menschen, die in der Wüste wohnten ( homines bestiales in desertis morantes ); er habe die Menschen mit Gewalt zu seiner Religion gezwungen. Ihm hätten keinerlei Weissagungen des Alten und des Neuen Testaments zur Verfügung gestanden. Um diesen Mangel versteckt zu halten, habe er die Lektüre der Bibel verboten. Er habe Zugeständnisse an die niedrige

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