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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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die zwei Lebensbereiche Politik und Wissenschaft:
    In feierlichen Eiden einiger Regierender kommt Gott noch vor. Manche fordern noch, er solle in der Verfassung stehen. Christliche Parteien regieren noch in einigen europäischen Staaten, speziell in Bayern, aber würde ein beliebter Staatsmann seine christliche Partei umbenennen, etwa in ‹Umweltbewußte Konservative›, ginge nicht viel verloren. Die Kirchenvertreter würden protestieren, nachdem sie jahrzehntelang die Gleichsetzung von ‹christlich› mit ‹konservativ› hingenommen und von ihr profitiert haben. Jedem ist klar, daß aus einem Verfassungsbezug auf Gott nichts folgt, außer vielleicht in der Fortpflanzungspolitik. Man kann ihn auch weglassen. In Europa gilt kein politisches Amt mehr außer vielleicht dem des Papstes als göttliche Einsetzung. Die Berufung auf ‹Gott› wurde funktionslos, also tot. Das war anders in der vorchristlichen römischen Republik; es war anders im politischen Leben des Mittelalters. Vielleicht war es sogar noch anders, als Adenauer und De Gaulle sich den gottlosen Sowjets gegenübersahen. Allerdings gab schon damals nicht mehr die lebendige Erfahrung eines mächtigen Monarchen einen anschaulichen Begriff von göttlicher Allherrschaft.
    Anders war es vor 1800 in den bis dahin grosso modo führenden Wissenschaften. Um die Welt zu erklären, brauchten sie ‹Gott›. Das gilt nicht nur für die Theologen, es galt für die meisten weltlichen Philosophen und Naturforscher, die begannen, ihre philosophische Theologie gegen die Gotteslehre der Theologen auszuspielen. Dem Wort ‹Gott› gaben die verschiedenen Schulen je anderen Inhalt, aber ‹Gott› und ‹Seele› galten als Vernunftinhalte für alle Menschen. Da Cicero unter ‹Gott› das Universum verstand, einschließlich der Götter, war es für ihn undenkbar, daß intelligente Menschen Atheisten sein könnten: Gott oder die natura lag vor aller Augen. Je jenseitiger Gott gedacht wurde, um so strenger, bestreitbarer und weniger brauchbar ist er geworden. Früher war er eine gefühlte Macht in Seelen und Institutionen. Er war Unendlichkeit, Meer des Seins und – nicht erst bei Christen – gütiger Allvater. Lange war er ein allgemeiner Denkinhalt. Er war es so sehr, daß mancher Denker behauptete, der Gedanke an Gott gehöre zur menschlichen Natur; er sei uns angeboren. Im 17. und 18. Jahrhundert verstanden deistische Denker unter ‹Gott› oft die Gesamtheit der Realität, den rational erforschbaren Zusammenhang aller Einzelinhalte. Er ließ sich aufstellen gegen den willkürlich handelnden Himmelskaiser. Mancher änderte die Ausgangsdefinition von ‹Gott› und interpretierte das tradierte Christentum insgesamt neu, als ‹natürliche Religion›, die so alt sei wie die Welt. Er trieb noch philosophische Theologie. ‹Gott› war dann nicht mehr eine außerweltliche Intelligenz, sondern die Vernunft im Weltprozeß. Sie schloß es aus, daß der ursprünglich göttliche Plan durch den Sündenfall scheiterte; er mußte nicht mehr erst durch außerordentliche göttliche Intervention wieder ins Lot gebracht werden. Das Böse war dann keine radikale Gottwidrigkeit, sondern ein notwendiges Moment der Weltentwicklung; die Offenbarung war nicht ein einmaliger historischer Vorgang, sondern die Weltgeschichte selbst; der Gottmensch war die als real angeschaute Idee der Menschheit. Das irdische Leben blieb nicht das alte Jammertal, das durchschritten werden mußte, um die jenseitige Erfüllung zu erreichen. Der scharfe Schnitt zwischen Diesseits und Jenseits verheilte.
    Nun scheint es in der Natur des menschlichen Denkens zu liegen, immer weiter ausgreifen zu wollen. Wenn es ‹Haus› denkt, stellt es daneben auch ‹Strauch› und neben ‹Strauch› auch ‹Baum›. Es geht in seinen Verknüpfungen immer weiter, bis es für festgelegte Zwecke genug ist. Ein solcher Vorgriff des Denkens auf Gesamtzusammenhang geht in die Festsetzung einzelner Zwecke ein. Nannte man den unbestimmt bleibenden Gesamtzusammenhang ‹Gott› oder das Sein, dann war er für jedes Wissen das Erste und das Letzte. Aber Hume und Kant verlangten, die Gegenstände des Wissens präziser zu bestimmen. Sie diagnostizierten den Zug zur Gesamtheit der Realität als Eigenheit der menschlichen Vernunft. Damit verschwand Gott aus dem allgemeinen Wissensaufbau. Er beschäftigte nur noch die Theologen. Sie sorgten für ihren Fortbestand über den Tod Gottes hinaus, indem sie auf den Einfall verfielen, sie

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