Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Meldungen.
Sie machen klar: Wir haben nicht die Ereignisse vor uns, sondern Texte, die auf Erzählungen zurückgehen. Der älteste von ihnen dürfte 20 Jahre nach der Kreuzigung entstanden sein; der jüngste vielleicht 70 Jahre später. Auch wenn es nur 30 oder 50 Jahre wären, die nahöstliche Erzählkunst bleibt nicht stehen. Sie erfindet immer neue Details; so kam zum Beispiel der Grabeigentümer Joseph von Arimathea hinzu; dann die Wache am Grab, schließlich der Aussendungsbefehl und zuletzt die Empfehlung wunderlosen Glaubens. Daß Erzählungen mit der Zeit anwachsen, das ist auch heute noch die Regel. Erzähler fügen zunehmend hinzu, was nach ihrer Ansicht gesagt werden muß, um die Botschaft gegen neue Zweifel zu sichern. Sie erzählen, wie die Botschaft nach ihrer Ansicht richtig lauten muß. Die historisch-kritische Exegese hat die Zunahme von Wunderdetails erstmals belegt, und zwar, wie Lessing gesagt habe würde, ‹unwidersprechlich›. Erstaunlich ist sie nicht. So wuchsen Erzählungen im orientalischen Alltag, und so wachsen sie bei uns heute noch. Nur haben Kriminologen und Historiker einen härteren Begriff von Genauigkeit und Wahrheit entwickelt. Wenn Zeugen sich widersprechen, beweist das Historikern nicht, daß nichts passiert ist. Widersprüche der genannten Art sind allerdings schwer vereinbar mit der Annahme, der Heilige Geist selbst habe alle Sätze der Bibel wörtlich diktiert. Nur deshalb habe ich sie aufgelistet. Vielleicht ist Jesus wirklich auferstanden, nur wissen wir es nicht bei dieser Quellenlage. Es war ein Mißgriff, die Zeugen der Auferstehung der Lüge zu zeihen, aber genauso unsinnig war die Gegenbehauptung, die Berichte müßten wahr sein, denn die hohe Moral der Apostel schließe Lügen aus. Es gibt mehr Textarten zwischen Lüge und Protokoll als ein moralisierender Apologet ersinnen kann. Das meiste, was volkstümlich erzählt wird, liegt zwischen diesen Extremen. Das Anwachsen des Traditionsstoffs nehme ich ohne Entrüstung zur Kenntnis, ohne den Vorwurf der Lüge und ohne Beschönigung.
Warum wurden die Unebenheiten der Ostererzählungen so spät bemerkt? Die Bibel ist doch viele Jahrhunderte hindurch eifrig und genau gelesen worden. Diese Frage führt zur Eigenheit der historisch-kritischen Methode: Denn solange der Bibelleser die Erzählungen als das Wort des ewigen Gottes las, das direkt aus der zeitlos vorgestellten Wahrheit kam, waren zeitliche Differenzen unbedeutend; man konnte sie überlesen. Die historisch-kritische Betrachtung behauptet zwar nicht, alles habe sich entwickeln müssen , aber sie erwartet bei geschichtlichen Gegenständen Entwicklungen. Sie unterstellt sie nicht, aber sie schaut nach, ob sie sich positiv beweisen lassen. Daran hat sie ein Interesse, und damit hatte sie unbestreitbare Erfolge. Sie verkennt nicht, daß man auch heute noch geschichtliche Vorgänge wie das Abrollen eines ewigen Drehbuchs präparieren kann, nur erweist sich solcher Äternismus als weniger fruchtbar. Er erschließt zu wenig. Er hat verhindert, daß die Eigenart der Sprache der Konstantinischen Schenkung genau beschrieben und die Abhängigkeit des angeblichen Paulusschülers Dionysius vom Neuplatoniker Proklos entdeckt wurde, obwohl Dionysius sorgfältig kommentiert worden ist. Der Verdacht, nicht alle Texte seien das, als was sie zuerst scheinen, liegt der historischen Kritik zugrunde. Sie kennt überall interessierte Fälschungen. Sie ist mißtrauisch, und es ist leicht auszumalen, welchen Widerstand sie auslöste, als sie nicht nur kaiserliche Privilegien, sondern auch Gottes Wort und die als überzeitlich verehrte Wahrheit der Kirchenlehren ihrer Sonde unterwarf. Dafür gibt es eine Reihe von Dokumenten. Im Gegensatz zu den bürokratisch-kaltschnäuzigen Bescheiden der späten päpstlichen Bibelkommission bebt die Gegenschrift des Bischofs Bossuet gegen Richard Simon noch vor Empörung: Diese kritische Betrachtung der Bibel zerstöre den christlichen Glauben. [21]
Um es noch einmal zu sagen: Sie unterstellt nicht, alles sei Fälschung. Sie behauptet nicht, alle respektablen Mächte kämen aus bescheidenen, vielleicht dunklen, archaischen Anfängen. Aber sie untersucht die Bedingungen des Entstehens und Fortgangs mit dem Nebenton der Unehrerbietigkeit, der sie Machthabern verdächtig gemacht hat. Deswegen ist sie dem philosophischen Blick auf die Geschichte unentbehrlich. Äternistischen Theologien ist sie gefährlich.
Daß ein Toter zurückkommt, erleben
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