Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
Sinnlichkeit gemacht. So sei klar, daß, wer ihm glaubt, dies leichtfertig tue. Thomas teilte das Bild vom Orient als einer Höhle sexuellen Vergnügens.
Thomas glaubte, Gott wirke auch jetzt noch Wunder; er brachte sie aber nicht als Argument vor. Er sah im Missionserfolg des Christentums den sichersten Beweis. Aber der war schon damals nicht überzeugend. Zur Zeit Augustins war die Lage noch halbwegs anders: Zu Beginn des 5. Jahrhunderts war die damals bekannte Welt mehr oder minder zwangsbekehrt christlich. Für die Zeit um 1300 traf das nicht mehr zu. Das geographische Desinteresse des Thomas erklärt sich leicht: Das Argument aus der geographischen Verbreitung sicherte ihm die Vernünftigkeit seines Glaubens. Heute taugt sein Argument aus der Bekehrung der Welt nichts mehr. Wir haben einen anderen Begriff von der Geographie der ‹Welt›. Als Thomas von der ‹Bekehrung der Welt› als dem größten aller Wunder sprach, lag darin ebensoviel Selbsttäuschung wie sieghafte Zuversicht in die Vernünftigkeit des Glaubens. Beides ging verloren durch die objektive Erweiterung unseres Bildes der ‹Welt›. Die geographische Horizonterweiterung unserer Welt ist nicht rückgängig zu machen. Sie ist einer der vielen objektiven Gründe, warum die Vernünftigkeit des Glaubens abgenommen hat. Den Christen sind die Felle weggeschwommen. Sie haben das Argument verloren, das Thomas für das stärkste hielt.
Vor allem aber: Die Ausbreitung des Christentums im 3. Jahrhundert ist ein historischer Vorgang, den wir wie die Verbreitung des Mithraskultes konkret aus den Quellen verfolgen. Das Schlagwort ‹Monotheismus›, auf das sich Joseph Ratzinger versteift, erklärt den Erfolg nicht. Wäre es nur um die Alternative zum volkstümlichen Polytheismus gegangen, hätten die Monotheisten Neuplatoniker bleiben oder Juden werden können. Augustin erzählt in den Confessiones, daß er durch den philosophischen Monotheismus der Neuplatoniker sich dem Christentum nähern konnte, nur wollte er nicht bei dieser Philosophengruppe stehenbleiben. Er suchte mehr als den Monotheismus: Auch er hatte sein soziales und sexuelles Problem zu lösen, ohne dies ist seine ‹Bekehrung› nicht zu verstehen. [25] Ratzinger betont kopflastig den Monotheismus als Grund der Ausbreitung des Christentums; er übersieht die sozialen, psychologischen und kulturellen Probleme eines jungen Intellektuellen im Jahr 386; er verkennt die Emotionen, die es jedem, gerade dem sozial Niedrigsten, gewähren mochte, wenn Autoritäten ihm versicherten, er sei ein Kind Gottes und werde vom Herrscher des Universums beschützt. Außerdem bot das Christentum neue soziale und ethische Erfahrungen; es erregte hohe religionsdramatische Effekte; es erzählte von Tod und Erweckung des Gottessohns; es versprach Totenauferstehung. Auch das Mysteriöse lockte. Es raunte von Erlösung durch Blut. Es schuf fromme Schauer und geheimnisvolle Prozeduren wie die Taufe; es gewährte das Glück brüderlicher Mahlzeiten in einer irdischen Gemeinschaft, von der man ihm versicherte, sie sei auf Fels gebaut.
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Zweiter Teil
Kapitel IV
Gott
Gottlos ist, wer leugnet, daß es den Schrecken Gottes gibt.
Nach Psalm 36,2
1. Könnte es sein, daß Gott tot ist?
Die Sache ist in Ruhe zu prüfen. Irgendein Theologiestudent glaubte damit fertig zu sein und schrieb an die Seminarwand:
‹Gott ist tot.›
Nietzsche
‹Nietzsche ist tot.›
Gott.
Ganz abgesehen davon, daß er sich dabei zum Sprachrohr Gottes aufspielte, redet er, als habe Nietzsche behauptet, Gott sei ein zeitlich begrenzter Organismus gewesen und sein unvermeidliches Ende sei jetzt eingetreten. [26] Nietzsches Gedanke war ein anderer, nämlich: Der christliche Glaube – und sein zentraler Inhalt: Gott – habe die Plausibilität verloren, die er früher wohl besessen habe. Der Gottesgedanke hat einmal begonnen, er ist schwächer geworden und kann aufhören. Dies zu durchdenken gehört zur Analyse der geistigen und politischen Situation der westeuropäischen Gegenwart. Lokale Unterschiede spielen mit, z.B. zwischen Ost- und Westdeutschland. In Südamerika könnte wieder alles anders aussehen. Aber wichtiger als die Geographie ist die Art, wie man ‹Gott› definiert. Wir reden nicht von Platons zeitlosem ewigen Gut, sondern von Jahweh und vom Gott der Christen, vom Gott Augustins, Luthers und Pascals. Und dieser könnte lange gekränkelt haben und jetzt am Sterben sein.
Daß er schwächelt, das zeigen
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