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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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noch Dämonen, erst viel später wurden sie Phantasieprodukte oder Kunstgegenstände.
    Ich glaube nicht, mit Nietzsches Wort «Gott ist tot» schon fertig zu sein. Wenn ich nicht irre, wird Gottvater selbst in der kirchlichen Kunst nicht mehr dargestellt. Im Gegensatz zum Gekreuzigten. Ist Gott für die Kunst gestorben? Sind nicht auch die Engel, diese unsterblichen ‹Beamten des Himmels›, gestorben? Das wäre zu untersuchen. Die Sache braucht ruhige, langsame Prüfung. Und die Frage weitet sich aus. Sie setzt Zweifel in alles Jenseitige und alles Ideenhafte. Daß es noch Kirchen gibt, ja daß noch gebetet wird, beweist nicht das Gegenteil. Zur Frage steht Gott als gefühlte Macht in Seelen und Institutionen. Zu diskutieren ist Nietzsches Erklärung zu seinem Satz vom Tod Gottes, die lautet: «daß der Glaube an den christlichen Gott unglaubwürdig geworden ist.»    [27]   Dies ist das Thema der folgenden Seiten.
    2.  Der Gott der Philosophen
    Die Frage, ob Gott gestorben sein könne, führte unweigerlich zu der anderen, wie er definiert werde. Wenn man ihn sähe , wäre das kein Problem. Als man noch unterstellte, man sehe doch die Welt und zur Welt gehörten Erde, Sterne und Götter, brauchte kaum jemand nach einer Definition zu fragen. Von Seneca stammt die Definition Gottes, die Anselm von Canterbury berühmt gemacht hat: Gott ist das, worüber hinaus Vollkommeneres nicht gedacht werden kann. Seneca meinte mit dieser Definition das Weltganze einschließlich der Götter; Anselm verstand darunter seinen jenseitigen und dreieinigen Gott. Der bloße Wortlaut der Definition entschied nicht darüber, ob sie Senecas oder Anselms Gott dachte. Definitionen erhalten volle Bestimmtheit durch Umfeld, Anlaß und Zweck. Seneca dachte nicht daran, seine Definition zum Ausgangspunkt eines Gottesbeweises zu machen; diese Möglichkeit sah erst Anselm. Wer beschlossen hat, sich intellektuell im Umfeld Anselms aufzuhalten, kann auch heute noch Gott wie Anselm definieren und einen Ungläubigen in folgendes Fragespiel verwickeln:
    Denkst du, es gebe etwas so Vollkommenes nicht ?
    Dann ist das, was du denkst, nicht das Vollkommenste, was gedacht werden kann, denn dann ist ‹Gott› für dich ein realitätsloses Wort, aber ich denke, daß er existiert. Wenn er die Vollkommenheit besitzt zu existieren, dann ist er größer als du gedacht hast. Dann existiert der von mir gedachte Gott. Wenn du ihn definierst wie ich, dann kannst du nicht denken, er existiere nicht.
    Dies war das überaus intelligente Argument Anselms, das man später das ‹ontologische› nannte. Es funktioniert unter (mindestens) zwei Voraussetzungen:
    Erstens: Es definiert ‹Gott› als ‹das, worüber hinaus Vollkommeneres nicht gedacht werden kann›. Manche mißverstehen Anselm und definieren ihn nur als das ‹vollkommenste Wesen›. Dann schließt das Argument nicht.
    Zweitens: Existieren muß eine Vollkommenheit sein. Es muß sinnvoll sein, zu einem Gedankeninhalt das Existieren als Inhalt hinzuzufügen.
    Anselms Argument hatte große Vorzüge: Es machte das Gottesbewußtsein der Christen unabhängig von jedem Außending der Welt, auch von der Kirche. Die menschliche Vernunft gab sich selbst die Gottesgewißheit, und zwar so, daß sie das Gegenteil nicht fürchten mußte. Würde Gott nur de facto existieren, dann könnte er morgen sterben. Aber wenn Anselms Argument gilt, dann ist Gott ewig; dann kann er nicht als nicht-seiend gedacht werden. Dann muß er existieren.
    Damit wäre freilich noch keineswegs der Gott irgendeiner Religion bewiesen. Die Religionen definieren ihren Gott inhaltsreicher als Anselms mehr technische Formel. Aber diese gäbe ihnen eine rationale Grundlage, und zwar eine, die zu bestreiten in sich widersprüchlich wäre. Die Vernunft könnte gar nicht anders, als den so definierten Gott als existierend zu denken.
    Anselms ingeniöse Erfindung hat unübersehbare Diskussionen ausgelöst. Sie ließ sich benutzen wie ein Gedankenschlüssel, der bei jeder einzelnen Behauptung über Gott folgende Frage stellt: Wird Gott bei dieser Aussage – zum Beispiel, daß er allmächtig sei –, größer gedacht als ohne diese Behauptung? So ging der Mathematiker und Erzbischof Thomas Bradwardine im 14. Jahrhundert die Bestimmungen des christlichen Glaubens durch, um eine systematische philosophische Theologie zu begründen. Denn philosophisch, ohne eine Glaubensüberzeugung beweistechnisch vorauszusetzen, hatte Anselm seine Argumentation

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