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Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)

Titel: Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kurt Flasch
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Jeder Satz braucht zwei oder mehrere Elemente. Er sagt etwas von etwas. Die philosophische Theologie, die aus Platons ‹Einem› entwickelt worden ist, machte aus der Not eine Tugend und erklärte, die Unmöglichkeit, etwas darüber zu sagen, sei Ausdruck göttlicher Erhabenheit. So entstand die radikale negative Theologie.
    Aber selbst wenn ihre Argumentation zuträfe, könnte ihr jemand den christlichen Glauben zwar nachträglich unterwerfen, indem er ihn als defizitäres Bild des Einen auslegt, aber hinführen zu ihm könnte sie nicht, denn der christliche Glaube sagt vieles Bestimmte von Gott, zum Beispiel, er sei gut und allwissend. Er sei Mensch geworden, um uns zu erlösen. Als Begründung oder Anleitung zum christlichen Glauben kann die einheitsphilosophische Argumentation nicht dienen. Sie zeigt, daß man über Gott vernünftig hin und her reden kann; sie zeigt keineswegs die Vernünftigkeit des christlichen Glaubens. Sie ist kirchlich-dogmatisch nicht verwertbar. Um es mit Dionysius Areopagita zu sagen: Wenn jemand Gott zu erkennen sucht, und findet dabei etwas Bestimmtes, dann hat er nicht Gott gefunden. Sie führt zum Verstummen. Glaubenszeugen und Prediger wollen aber reden.

    Die sog. Gottesbeweise sind teils platonisch-neuplatonischen, teils aristotelischen, teils stoischen Ursprungs. Sie haben philosophischen Charakter. Nicht-Gläubige haben sie erfunden, Gläubige haben sie ausgebaut und modifiziert. ‹Freidenker› und ‹Deisten› des 17. und 18. Jahrhunderts haben sie fortgeführt. Sie korrigierten damit die Wundergeschichten des Kirchenglaubens. Katholiken sahen in ihnen bis 1960 das Paradestück der philosophischen Voraussetzungen des Glaubens. Bevor Kant sie kritisierte, stützten auch protestantische Denker sich in aller Regel auf sie. Die zweite Säule war die Idee der Unsterblichkeit der Menschenseele.
    Christen nutzten in Antike und Mittelalter, aber insbesondere im 17. und 18. Jahrhundert antik-philosophische Gotteslehren. Zwischen 1650 und 1750 wurde die philosophische Theologie der Stoa – vor allem mit ihrem Argument der zweckmäßigen Einrichtung des Universums – geradezu zur Mode. Man konnte argumentieren: Würde Gott nicht existieren, könnte er sich auch nicht offenbaren. Wer seine Existenz philosophisch bewiesen hätte, könnte an die vorhandenen Religionen herantreten und untersuchen, ob in ihnen Gott spricht. Das war eine etwas gewundene apologetische Konstruktion; im tatsächlichen Leben ist wohl niemand auf diesem Weg zu seinem Christentum oder seinem Islam gekommen, zumal die Religionen, sobald sie die Macht hatten, heilige und unheilige Praktiken angewandt haben und noch anwenden, die Menschen schon an sich zu binden, bevor sie Argumente prüfen können. Fragt man heute Christen, warum sie Christ sind, spielen Gottesbeweise kaum eine Rolle. Als Karl Rahner danach gefragt wurde, ließ er sich herab, von ihnen zu sagen, daß er sie nicht verachte, aber sie seien sekundäre Auslegungen seiner ursprünglichen Gottesgewißheit. Diese war auf Gehorsam und ‹Geheimnis› abgestimmt. Er definierte seinen ‹Gott› als das «Geheimnis, das aller Einzelwirklichkeit Grund und aller Erkenntnis und Freiheit Raum und Horizont gewährt.» Was es heißt, dieses Geheimnis gewähre der Erkenntnis «Raum und Horizont», ist nicht leicht zu fassen. Den Sinn dieser Metaphern zu ermitteln, bedarf es interpretatorischer Kunststücke.
    Ich kann hier die Bemerkung nicht unterdrücken, daß ich mich oft gewundert habe, wie inhaltsarm große Theologen des 20. Jahrhunderts von ihrem Gott gesprochen haben. Selbst der feine Bultmann schrieb: «Die Macht, die den Menschen in die letzte Einsamkeit stößt, ist Gott.» Gott ist demnach ‹Macht›, er ist ein Stoßen. Was er uns gibt, ist ‹letzte Einsamkeit›, als hätten wir davon nicht auch ohne ihn schon genug. Mich hat Adolf Hitler und hat sein Krieg in die letzte Einsamkeit gestoßen. Von Gott, dachte ich, sei etwas Besseres zu erwarten, zum Beispiel Frieden und gewaltfreie Gemeinsamkeit. Die ‹Macht› kann ich so hoch nicht schätzen. Niemand wird den Prediger Bultmann auf diese Formulierung festlegen, denn genau genommen charakterisiert sie den gewalttätigen Dämon des 20. Jahrhunderts, buchstäblich den Zeitgeist. Selbst bei Umfragen in Deutschland nach dem Gottesglauben kommt regelmäßig die Antwort: Nein, an einen persönlichen Gott glaube ich nicht, wohl aber an eine ‹höhere Macht›. ‹Macht›, das ist das

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