Warum ich kein Christ bin: Bericht und Argumentation (German Edition)
erdacht, als solche ausdrücklich bezeichnet und gegen Gaunilo verteidigt. Er wußte, daß er damit keinen Glaubensakt erzeugen konnte; er bot eine philosophische Vergewisserung für Glaubende, die einen Maßstab suchten, der rein vernünftig, allgemeinmenschlich argumentierend erlaubte, Nichtchristen das Gottesbewußtsein anzusinnen. Er wollte argumentativ glaubensunabhängig den Glauben unterbauen. Anselm fand Widerspruch bei seinem Zeitgenossen Gaunilo, bei Thomas von Aquino und erneut bei Kant; er wurde verteidigt von Duns Scotus, von Descartes und Leibniz, von Hegel und von einigen neueren Philosophen. Die immense Debatte hat sich vom theologischen Zusammenhang abgelöst; sie wurde intern philosophisch. Wer heute auf Anselms Seite tritt, muß deswegen nicht Christ sein.
Diese Debatten verdeutlichen jedenfalls: Wie es bei Gottes Wundertaten darum geht, daß wir sie nur in Erzählungen haben, so kommt es bei philosophischen Unterhaltungen über Gott darauf an, wie diese Vokabel definiert wird. Manche Gläubige mögen das technisch-roh finden, aber auch sie setzen eine Definition voraus, sie wissen es nur nicht. Denn Gott hat niemand je gesehen.
Es gab ähnliche Überlegungen, die wie Anselms Argument beweisen wollten, daß Gott existiert, ohne dabei Erfahrungsdaten heranzuziehen, die allemal etwas Zufälliges und Bestreitbares an sich haben. Sie sagten, etwas vereinfacht, Folgendes:
Wenn du denkst und sprichst, vereinigst du immer ein Vielfaches zu einer Einheit. Jede Gedankenbestimmung vereinheitlicht; sie nimmt ein Vieles als Einheit. Zum Beispiel faßt die Bestimmung ‹Haus› eine große Mannigfaltigkeit zu einem einzigen Begriff zusammen. Noch stärker vereinheitlichst du, wenn du ‹Entfernung› denkst oder ‹Gewicht›.
Die entscheidende Beobachtung dabei ist nun: Das geschieht bei allem, was du ‹wirklich› oder ‹möglich› nennst. Sogar wenn du von etwas behauptest, daß es nicht sei, setzt du es als Einheit. Diese Art Einheitssetzung ist unvermeidbar; sie liegt in der Natur des Denkens und dann wohl auch des Seins, wenn dein Denken es mit der Wirklichkeit oder auch nur der Möglichkeit zu tun hat. Du bewegst dich bei allem, was du denkst, sagst oder tust, innerhalb einer unbestimmten, aber von dir jeweils in der Konkretion bestimmten Einheit. Sie ist so notwendig und allumfassend, wir könnten sie als ‹Gott› bezeichnen. Das wäre ein unsichtbarer, aber ständig in unserem Weltumgang präsenter Gott. Du mußt nur auf dich selbst achten, auf dein Denken, Sprechen und bewußtes Tun, dann erkennst du ihn, ungegenständlich zwar, aber immer präsent. In ihm bewegen wir uns und sind wir, wie eine stoische Formel sagt, die Paulus nach der Apostelgeschichte 17,28 in seiner Rede auf dem Areopag zitiert haben soll. Ihr Sinn wäre: Unser theoretischer und praktischer Weltumgang beruht auf Vereinheitlichen und setzt dabei ‹Einheit überhaupt› voraus.
Diese Überlegung besaß das Zeug zu einer philosophischen Theologie. Die überall vorausgesetzte ‹Einheit überhaupt› könnte erklären, was das Wort ‹Gott› bedeutet. Aber als Gottesbeweis ist sie noch schwerer zu verteidigen als Anselms Argument, mit dem sie nicht verwechselt werden sollte. Sie geht auf die Analyse der Stammbegriffe menschlichen Denkens und Redens beim späten Platon zurück. Er stellte fest, daß eine Reihe von Grundbegriffen immer wieder in unseren Reden vorkommt: Wir sagen von etwas, es sei identisch oder von einem anderen verschieden , es sei eines oder vieles. Ohne Verbindung solcher Erstbegriffe könne menschliches Reden und Denken nicht zustande kommen. Gedanken und Sätze seien die Verflechtung und Anwendung solcher gegensätzlicher Bestimmungen. Platon kam es auf den Nachweis an, daß wir Gedankenbestimmungen nur vornehmen können, wenn wir das Viele ‹Eines› und das Eine ‹Vieles› nennen können, wenn wir zum Beispiel vom Einen sagen, daß es ‹ist›. Damit haben wir schon zwei Bestimmungen. Wenn eine philosophisch-theologische Gedankenreihe argumentiert, Gott existiere, weil wir alles als ‹Eines› bestimmen, hat sie mit ihrem Ausgangspunkt recht, aber wir bestimmen alles auch als ‹Vieles›, sonst könnten wir auch nicht vom Einen sprechen. Die Metaphysik, die nur das Eine denken will, isoliert ein einziges der Erst-Prädikate. Sie löst die Verflechtung auf, die allein Reden ermöglicht. Dann geschieht, was Platon vorhergesagt hat: Mit einer einzigen dieser Bestimmungen kann man nichts sagen.
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