Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt
denn sie waren ja eben erst aus dem Hut gezaubert worden. Problematisch war außerdem, dass der Wohnungsmarkt in den USA nicht als eine Einheit begriffen wurde, wie es in den meisten anderen Ländern der Fall ist. Es gab dort vielmehr Dutzende ganz unterschiedliche regionale Immobilienmärkte, die sich an den dortigen Bedingungen, an der demographischen Struktur und am ganz individuellen Rhythmus von Aufschwung und Niedergang orientierten. Manche Bundesstaaten hatten relativ beständige Märkte, andere, wie zum Beispiel Florida, waren berühmt für ihre ständige Wechseldusche von Immobilienblasen und Crashs (die oft genug mit schaurigen, spektakulären und auf diese Art nur in Florida möglichen Betrugsfällen zu tun hatten). Man kann es nicht mit Sicherheit sagen – denn die Daten sind lückenhaft, von der jeweiligen Region abhängig und nie Eingig undordentlich gesammelt oder miteinander in Bezug gesetzt worden –, aber es scheint so, als hätte es in den USA bisher noch keinen überregionalen, landesweiten Immobiliencrash gegeben. Zahllose Auf- und Abschwünge in den regionalen Märkten waren zwar vorgekommen, aber als Ganzes war der Markt noch nie in sich zusammengebrochen.
Jede Risikoeinschätzung, die ein Kreditgeber vornimmt, beruht auf statistischen Daten. Man spielt gewisse Szenarien durch und misst und analysiert dann ihre Wirkung auf die jeweiligen Kredite. Aber wie sollte man das mit so wenig Datenmaterial zustande bringen? Wie sollte man es schaffen, die Wirkung einer überregionalen Wirtschaftsflaute auf die Immobilienpreise einzuschätzen? Eines der Hauptprobleme bestand in der Korrelation. Das ist ein Begriff aus der Statistik und meint die wechselseitige, mithilfe der Wahrscheinlichkeitsrechnung zu erfassende Beziehung unterschiedlicher Erscheinungen.Wie sollte irgendjemand die Risiken einschätzen – insbesondere was die Preise und Ausfallquoten auf dem Wohnungsmarkt anging –, die verschiedene Menschen in vollkommen unterschiedlichen Regionen betrafen? Korrelationen wurden an der Börse eingehend untersucht und dienten dazu, Risiken einzudämmen. Es war sehr hilfreich, wenn man wusste, welche Aktienkurse sich parallel bewegten und welche unterschiedlichen oder entgegengesetzten Rhythmen folgten. Wenn es den Banken gelänge herauszufinden, wie man Subprime-Hypotheken miteinander korrelieren konnte, wie man Modelle erstellen konnte, die eine Wahrscheinlichkeitseinschätzung möglich machten, dann würden sie sich sehr viel sicherer beim Erstellen von Derivaten fühlen, die auf ihnen aufbauten.
Und dann, o Wunder, gelang es tatsächlich jemandem. David X. Li war ein Mathematikgenie aus einer ländlichen Region in China. Wenn die Kreditkrise ein Roman von John le Carré oder Robert Ludlum wäre, oder am besten noch Stendhal, dann wäre er die Hauptfigur: undurchsichtig, zielstrebig, eine wahrhaft geheimnisvolle Gestalt mit internationalem Flair. Mittlerweile ist er nach China zurückgekehrt und allem Anschein nach immer noch auf dem Gebiet des Risikomanagements tätig. Li kam Ende der neunziger Jahre mit einem Stipendium der chinesischen Regierung nach Nordamerika, um sich mit dem Kapitalismus vertraut zu machen. (Das allein ist schon ein faszinierendes historisches Detail. Ich glaube, die Zeiten sind nicht mehr fern, da Studenten, die mehr über den Kapitalismus lernen wollen, sich in Scharen nach Shanghai aufmachen werden.) Er erwarb vier akademische Grade. Der erste war ein Abschluss an der Universität von Nankai in Wirtschaftswissenschaften, der zweite ein MBA an der Universität von Quebec und der dritte und vierte, beide an der University of Waterloo in Ontario, waren ein Master in Aktuarwissenschaften (Versicherungs- bzw. Wirtschaftsmathematik) und ein Doktor in Statistik. Dann suchte er sich einen Job. Als Erstes arbeitete er für die Canadian Imperial Bank ofCommerce (ähnlich wie die »Royal Irish Academy« hätte Oscar Wilde wohl auch diesen Namen als »dreifaches Oxymoron« bezeichnet). Im Jahr 2000, während er für J. P. Morgan tätig war, gelang es ihm, eine mathematische Formel namens Gauß-Copula-Funktion so einzusetzen, dass man sie für die Erstellung von CDOs verwenden konnte. Und so sah die Formel aus: 14
Ich habe absolut keine Ahnung, was das bedeutet, aber es handelt sich dabei auf jeden Fall um eine Methode, mit der man berechnen kann, wie verschiedene Dinge auf unterschiedliche Weise zur gleichen Zeit passieren. Die Formel war in der Statistik bereits weit
Weitere Kostenlose Bücher