Warum Liebe Weh Tut
könnte man sagen, daß das Gebot der Autonomie das Gebot der Anerkennung übertrumpft und sogar unverständlich werden läßt. Weitere Beispiele für die Mechanismen, mit denen Autonomie die Gefühle der Frauen unterdrückt, sind mühelos zu finden. So ließe sich etwa Catherine Townsend, die bereits erwähnte Sexkolumnistin des Independent , als bemerkenswertes Exemplar einer sexuell emanzipierten Frau bezeichnen. Und doch hört sich das, was sie als »diese höchst weibliche Lage« bezeichnet, wie folgt an: »Also fand ich mich in dieser höchst weiblichen Lage wieder, so zu tun, als sei ich aller Sorgen ledig, während ich mich in Wirklichkeit am liebsten an seinen Hals geworfen und geschrieen hätte: ›Bitte liebe mich!‹« [69] Und die Psychologin Lisa Rene Reynolds kommt im Nachdenken über Internet-Kontaktbörsen zu dem Schluß: »Man glaubt, daß niemand auf das eigene Profil reagieren wird, wenn man dort angibt, daß man sich eine Familie und Kinder wünscht, 254 also versucht man erst gar nicht, das zu finden, was man in Wirklichkeit möchte.« [70] Um es noch einmal zu sagen: Mir geht es nicht darum, daß Frauen keinen Drang zu Autonomie verspüren würden oder auf Autonomie verzichten sollten. Im Gegenteil: Ich behaupte, daß Männer dem Gebot der Autonomie konsequenter und für einen längeren Teil ihres Lebens folgen und dadurch das weibliche Begehren nach Verbundenheit emotional dominieren können. Sie tun dies, indem sie die Frauen zwingen, ihre entsprechende Sehnsucht zu verschweigen und die Distanziertheit der Männer sowie ihren Drang nach Autonomie zu imitieren. Frauen, die nicht an einem heterosexuellen Familienleben, Kindern und der Verbindlichkeit eines Mannes interessiert sind, werden Männern mit größerer Wahrscheinlichkeit emotional auf gleicher Augenhöhe begegnen können.
Wenn klare Abläufe und Rituale für das Liebeswerben fehlen, ringt das Selbst, will es den Anspruch auf Autonomie und emotionale Freiheit für sich und sein Gegenüber aufrechterhalten, um die Anerkennung des Gegenübers, ohne in der Position zu sein, diese einfordern zu können. Weil also der Wert des Selbst nicht schon im vorhinein feststeht, wird er intersubjektiv ausgehandelt. Der eigene Wert ist dabei ständig durch die Möglichkeit bedroht, daß man sich nicht hinreichend autonom gibt. Die Spannung zwischen diesen beiden Geboten – die Autonomie aufrechtzuerhalten und Anerkennung zu erlangen – bringt eine ökonomische Auffassung des Selbst und der Psyche mit sich, das heißt eine Auffassung, der zufolge Anerkennung stets durch Autonomie ausbalanciert werden muß und es nicht zu einem Überangebot an Anerkennung kommen darf. In seinem Kampf, den eigenen Wert festzusetzen oder dem anderen Wert zuzuschreiben, stützt sich das Selbst auf ein Modell 255 des Tauschs, in dem Unverfügbarkeit als ökonomisches Anzeichen des Werts fungiert (und umgekehrt), ein Modell, demzufolge »lieben« in »zu sehr lieben« umschlagen kann. Es ist ebendiese ökonomische Logik, die den psychologischen Ratschlägen für Frauen überwiegend zugrunde liegt. So erzählt beispielsweise die Psychologin Robin Norwood in ihrem treffend betitelten Bestseller Wenn Frauen zu sehr lieben die Geschichten einiger ihrer Klientinnen/Patientinnen. Eine von ihnen, die sie Jill nennt, lernte einen Mann namens Randy kennen, mit dem sie sich »sofort unheimlich gut verstanden« hat:
»Es war toll. Ich konnte ihn bekochen, und es war ihm anzumerken, wie sehr er es genoß, daß ich mich um ihn kümmerte. […] Wir kamen unwahrscheinlich gut miteinander aus.« […] Als sie dann ihren Bericht fortsetzte, wurde deutlich, daß sich Jill schon nach kürzester Zeit ausschließlich auf Randy fixiert hatte.
Kaum war er in seiner Wohnung angekommen, klingelte bereits das Telefon. Jill erzählte ihm, wieviel Sorgen sie sich während der langen Fahrt gemacht hätte und wie sehr es sie nun beruhigen würde zu wissen, daß er gut angekommen sei. Offenbar hatte Randy mit dem Anruf nicht gerechnet – zumindest reagierte er leicht verwirrt –, und so entschuldigte sie sich für die Störung und legte auf. Aber schon bald machte sich ein nagendes Gefühl von Unruhe in ihr breit, von dem Bewußtsein geschürt, daß ihr schon wieder ein Mann weitaus mehr bedeutete als sie ihm.
»Randy hat mir einmal erklärt, ich solle ihn ja nicht unter Druck setzen, oder er würde verschwinden. Ich bekam schreckliche Angst. Alles hing an mir. Ich sollte ihn
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