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Warum Liebe Weh Tut

Warum Liebe Weh Tut

Titel: Warum Liebe Weh Tut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Illouz
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einer anderen Frau verlobt war.
     
    260 Dass so etwas wie ein Verlöbnis zwischen Willoughby und Marianne bestanden hatte, daran zweifelte sie nicht, und dass es Willoughby jetzt lästig war, schien ebenso klar. Auch wenn Marianne sich noch in Illusionen wiegte, sie konnte dieses Benehmen nicht auf irgendeinen Irrtum oder irgendein Missverständnis zurückführen. Nur ein vollständiger Sinneswandel konnte es erklären. Ihre Empörung wäre noch größer gewesen, hätte sie nicht seine Verlegenheit mit angesehen, die dafür sprach, dass er sich seines unverzeihlichen Benehmens bewusst war, und die sie davon abhielt, ihm die Gewissenlosigkeit zuzutrauen, dass er von Anfang an ohne ehrenwerte Absicht mit der Zuneigung ihrer Schwester gespielt hatte.  [72]
    Willoughby hat sich einen schweren moralischen Fehler zuschulden kommen lassen. Die Natur dieses Fehlers steht außer Frage: Er hat Marianne zu dem irrigen Glauben veranlaßt, er sei ihr verbunden; obwohl er ihr keine ausdrücklichen Versprechungen machte, verhielt er sich in einer Weise, die bedeuten mußte, daß er dies tun würde. Sowohl sein soziales Umfeld als auch Willoughby selbst wissen , daß ein aktives Liebeswerben praktisch gleichbedeutend mit einer Verbindlichkeit ist und daß es eine Verletzung des eigenen Ehrgefühls darstellt, eine einmal eingegangene Verbindlichkeit nicht weiterzuverfolgen. Ein Versprechen nicht wahrzumachen, kann sowohl emotionale als auch reale Schäden verursachen, insofern dies die Aussichten der Frau, einen anderen Verehrer zu finden, beeinträchtigt. Interessanter noch ist der Umstand, daß Willoughby sich so ehrlos verhält und Marianne zugleich liebt. Offensichtlich sind Gefühle also nicht notwendigerweise die Quelle von Heiratsentscheidungen. Eine solche gefühllose und berechnende Konzeption der Ehe war es ja gerade, gegen die Jane Austen anschrieb. Zudem: Als Willoughby sich öffentlich weigert, mit Marianne zu sprechen und damit ihre romantische Verbindung anzuerkennen, rührt Mariannes Bestürzung ebensosehr aus seinem Sinneswandel wie aus ihrer öffentlichen Zurschau 261 stellung eines Mangels an Zurückhaltung und Schicklichkeit, mithin den von Elinor gepredigten Kardinaltugenden. Es ist ebenso Mariannes unerwiderte Liebe zu Willoughby wie ihr sichtliches Unvermögen, den Regeln angemessenen Verhaltens zu folgen, die sie in eine qualvolle Lage versetzen. Der private Schmerz bietet einen normativen Haken, an dem Marianne ihr Leiden »aufhängen« und das sie dadurch erklären kann. Ihre Defizite sind keine innerlichen, sondern äußerliche – sie haben mit ihrem Verhalten zu tun, nicht mit ihrem Wesen, damit, wer sie ist. Wie niederschmetternd auch immer ihre Enttäuschung ist, stellt sie doch ihr Selbstgefühl nicht in Frage. Und schließlich verurteilt ihre gesellschaftliche Umwelt Willoughby moralisch so heftig, daß ihr Schmerz nie ganz privat ist, er ist für andere sichtbar und wird von ihnen geteilt. Indem sie die Bürde ihres Schmerzes mit ihr auf sich nehmen, haben sie an einem klaren moralischen und sozialen Gefüge teil. In diesem Sinne zeichnet sich Mariannes Leiden durch das aus, was Susan Neiman »moralische Klarheit« nennt.  [73]
    In Kloster Northanger löst Isabella Thorpe ihre Verlobung mit James Morland zugunsten besserer finanzieller Aussichten in der Person Hauptmann Frederick Tilneys auf. Als James Morland seiner Schwester Catherine die traurige Geschichte in einem Brief mitteilt, bekundet er statt Niedergeschlagenheit oder Wut einzig Erleichterung: »Gott sei Dank! Mir wurden rechtzeitig die Augen geöffnet!« Er geht sogar so weit, ernsthaft Mitleid damit zu haben, wie es Isabellas Bruder – John Thorpe – gehen wird, wenn er vom Verhalten seiner Schwester erfährt: »Der arme Thorpe ist in London; mir graut vor einer Begegnung. Der treuen Seele wird es nahegehen.«  [74] James Morlands Reaktion ist 262 eindeutig nicht durch tiefe Schmerzen und Qualen geprägt. Tatsächlich sind die einzigen Gefühle, die er klar ausdrückt, die des Mitgefühls und Mitleids mit Isabellas Bruder. Ein solches Mitleid rührt von dem Wissen her, daß Isabella einen Ehrenkodex verletzt hat, den er selbst, Isabellas Bruder und ihr ganzes gesellschaftliches Milieu kennen und teilen. Ein Heiratsversprechen zugunsten besserer finanzieller Aussichten aufzulösen, ist ein öffentlicher Akt, für den man vor einer Vielzahl anderer geradestehen muß, eine Verletzung moralischer Kodizes. Morlands Mitleid verdankt

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