Warum Liebe Weh Tut
davon zu reden, daß ich seine Freiheit einschränken wolle.
INTERVIEWERIN : Und was haben Sie darauf erwidert? Wissen Sie das noch?
ANNE : Ich sagte etwas wie, in einer Beziehung zu sein, ist eine Einschränkung der Freiheit, und daß man nicht beides zugleich haben könne. Und von diesem Gespräch an ging es bergab.
INTERVIEWERIN : Können Sie sagen, warum?
ANNE : Ich glaube, es ist immer dieselbe Geschichte. Anfangs mögen mich die Männer immer sehr. Dann werde ich aus irgendeinem Grund 258 unsicher. Ich muß wissen, ob sie mich lieben oder wie sehr sie mich lieben. Ich kann über diese Frage einfach nicht hinweggehen. Also stelle ich Fragen, ich stelle Forderungen, vielleicht könnte man sogar sagen, ich fange an, ihnen in den Ohren zu liegen. Ich weiß nicht ( lacht ). Das ist im wesentlichen die Dynamik: Etwas in der Beziehung löst Ängste in mir aus. Ich bringe es zum Ausdruck, ich will beruhigt werden, und der Mann fängt an, sich zurückzuziehen.
INTERVIEWERIN : Haben Sie irgendeine Vorstellung, warum das so ist?
ANNE : Ich glaube, daß es diese Machtspiele gibt, die Männer und Frauen betreiben. Ich habe viel darüber nachgedacht. Ich glaube, die Beziehungen zwischen Männern und Frauen sind wirklich total im Arsch, weil es so scheint, als könnten Männer sich nur dann wirklich für eine Frau interessieren, wenn sie ihnen gegenüber distanziert ist oder sich etwas von ihnen zurückzieht, oder etwas in der Art. Wenn eine Frau Bedürftigkeit, Ängste, den Wunsch nach Nähe zum Ausdruck bringt, dann vergiß es, der Mann wird einfach nicht da sein. Es ist, als ob der Mann sich immer und immer wieder beweisen müßte, daß er sie für sich gewinnen kann.
INTERVIEWERIN : Können Sie sagen, warum oder wann Sie Angst empfinden?
ANNE : Hmm … Ich denke, daß es tief im Innern von einem Gefühl der Wertlosigkeit kommt und davon, die andere Person zu bitten, daß sie mir zeigt, daß ich etwas wert bin. Irgend etwas in der Beziehung löst das immer aus. Ich merke dann, daß der Mann nicht liebevoll ist, oder nicht liebevoll genug. Dann werde ich ihn bitten, mich zu beruhigen. Meistens tun sie das nicht.
Die gängige psychologische Meinung würde diese Frau zweifellos der »Unsicherheit« bezichtigen und die Ursachen ihrer Angst in einer verpfuschten Kindheit suchen. In der psychologischen Theorie wird Angst entweder als Gedächtnisspur eines traumatischen Ereignisses oder als Signal dafür verstanden, daß die Fundamente des Ich kurz vor dem Zusammenbruch stehen, weil das Ich zwischen den widersprüchlichen Forderungen des Über-Ich und des Es gefangen ist. Freud und den späteren psychologischen Theorien zufolge wird die Angst dadurch neurotisch, daß sie diffus, in der Schwebe ist und kein klares Objekt hat. 259 Wenn wir jedoch die Rede dieser Frau beim Wort nehmen, dann hat ihre Angst ein höchst eindeutiges und bestimmtes Objekt und einen gänzlich sozialen Charakter: Es verlangt sie nach Anerkennung, sie strampelt sich aber an dem entgegengesetzten Gebot ab, ihre eigene Autonomie und die ihres Freundes zu bewahren, weil andernfalls ihr Status in der Beziehung gefährdet wäre. Während sowohl Anerkennung als auch Autonomie zu essentiellen Merkmalen sozialer Interaktionen geworden sind, ziehen beide die Akteure in entgegengesetzte Richtungen. Demzufolge läßt sich die hier beschriebene Angst als Folge einer Spannung zwischen dem Verlangen nach Anerkennung und der Bedrohung der Autonomie verstehen, die ein solches Verlangen darzustellen scheint; zwischen einer ökonomischen Auffassung des Selbst, der zufolge das Selbst als strategischer Sieger aus einer Interaktion hervorgehen muß, und dem Begehren, sich selbst in Form der Liebe als Agape hinzugeben, ohne daß ein ökonomisches Kalkül den Austausch regulierte. Die Frauen, die »zu sehr lieben«, trifft die grundsätzliche Schuld, das ökonomische Kalkül nicht zu verstehen, das Beziehungen leiten sollte, und das Gebot der Autonomie schlecht zu handhaben. Ich glaube daher, daß diese Spannung – zwischen Anerkennung und Autonomie – für die Entstehung einer neuen Struktur des Selbstzweifels verantwortlich ist.
Von der Eigenliebe zur Selbstbeschuldigung
In Jane Austens Verstand und Gefühl begreift Elinor in einem bestimmten Moment, daß Willoughby, der eifrige Verehrer ihrer Schwester Marianne, nicht die Absicht hat, diese zu heiraten. Später findet sie heraus, daß Willoughby zu der Zeit, als Marianne glaubte, er gehöre ihr, mit
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