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Warum Liebe Weh Tut

Warum Liebe Weh Tut

Titel: Warum Liebe Weh Tut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Illouz
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sich auch dem Wissen, daß die Befolgung solcher Kodes genauso wichtig für den eigenen Status ist wie die eigenen persönlichen Vorzüge. Weil Isabellas Tat ihren Namen und den Namen ihres Bruders entehrt, kann James Morland mit Thorpe mitfühlen, hat dessen Schwester ihm doch einen realen und nicht nur imaginären Schaden zugefügt. Wie in Willoughbys Fall liegt die Schande hier deshalb eindeutig bei der Person, die ihr Versprechen bricht, nicht bei der Person, die verlassen wurde – Marianne in Verstand und Gefühl und James Morland in Kloster Northanger . Im Gegenteil, Austens Text läßt uns vermuten, daß James in seinem Gefühl moralischer Makellosigkeit bestärkt und unterstützt wird, während John Thorpe geradezu zum (kuriosen) Opfer des gebrochenen Versprechens seiner Schwester wird. Um Alasdair MacIntyres Betrachtung der homerischen Gesellschaft zu zitieren, sind Fragen danach, »was zu tun und wie zu urteilen ist,  […] auch nicht schwer zu beantworten, außer in Ausnahmefällen. Denn die bestehenden Regeln, die den Menschen ihren Platz in der sozialen Ordnung zuweisen und damit ihre Identität, schreiben auch vor, was sie schuldig sind und was man ihnen schuldig ist und wie sie zu behandeln und anzusehen sind, wenn sie scheitern, und wie sie andere behandeln und ansehen sollen, wenn diese anderen scheitern.«  [75] 263 Wenn enttäuschte romantische Beziehungen in dieser Gesellschaftsordnung seelisches Leid verursachen, dann ist diesem stets moralische Empörung und ein Gefühl sozialer Unangemessenheit beigemengt. Dies besagt, daß Schuld und Verantwortung klar verteilt sind, und zwar außerhalb des Selbst.
    Auch Balzacs Novelle »Die Verlassene« veranschaulicht auf interessante Weise, wie im 19. Jahrhundert im Falle des Verlassenwerdens Schuld zugesprochen wurde. Die Vicomtesse de Beauséant, eine verheiratete Frau, nimmt sich einen Liebhaber, der sie jedoch verläßt. Als ihr Mann von der Affäre erfährt, verstößt er sie, doch nachdem eine Scheidung nicht in Frage kommt, verbannt sie sich selbst in die französische Provinz. Balzacs Novelle enthält vielleicht eine der reichsten und detailliertesten Beschreibungen dessen, was es im Frankreich des 19. Jahrhunderts für eine Frau der oberen Mittelklasse bedeutete, verlassen zu werden. Für unsere Diskussion besonders interessant ist, daß die Geschichte ihre Schande in sozialen Begriffen erzählt, nicht in solchen, die sich um ihr Selbstgefühl drehen. Im Gegenteil, die Pointe der Novelle besteht gerade in dem Nachweis, daß diese Frau trotz ihrer gesellschaftlichen Ausgrenzung einen makellosen und überlegenen Charakter beweist: Die Normen ihrer Umwelt sind für ein Elend verantwortlich, das wesentlich sozial ist, ihr Selbstwertgefühl jedoch nicht betrifft. So sehr die Helden und Heldinnen der Romane des 18. und 19. Jahrhunderts auch leiden mögen, nachdem sie verlassen wurden, gestaltet sich ihr Leid doch in einem moralischen Bezugssystem, in dem die Schuld klar verteilt ist. So beschreibt Balzac die brennendsten Wünsche der Vicomtesse de Beauséant im Stand ihrer »Verlassenheit«: »Der Freispruch durch die Gesellschaft, die rührenden Sympathien, die soziale Achtung, alles, was sie so sehr gewünscht, was ihr so grausam verweigert worden war, kurzum: ihre geheimsten Sehnsüchte waren durch diesen Ausruf erfüllt 264 worden  […].«  [76] Wonach sie trachtet, ist, in den Augen ihres gesellschaftlichen Milieus rehabilitiert zu werden. Zweifelsfrei sind es die willkürlichen und erstickenden Normen dieses Milieus, die hier für das Elend dieser Frau verantwortlich gemacht werden.
    In Die Kameliendame von Alexandre Dumas d. J. erleidet Marguerite, eine Kurtisane in den höheren Kreisen der französischen Gesellschaft, Qualen, als sie durch die Vorhaltungen von dessen Vater gezwungen wird, ihren Liebhaber Armand zu verlassen. Doch werden auch in diesem Werk die Normen, denen sie und ihr Geliebter zum Opfer fallen, dafür verantwortlich gemacht, daß sie ihn gezwungenermaßen verläßt. Obwohl Marguerite eine »ausgehaltene Frau« ist, verweist der Roman unzweideutig auf die Grausamkeit der gesellschaftlichen Normen als Hinderungsgrund für ihre Liebe zu Armand, nicht auf ihr inneres Selbst, das im Gegenteil als erhaben und nobel dargestellt wird. Den ganzen Roman über erweist sie sich als eine bewundernswerte Frau, und es ist gerade ihre Fähigkeit, unter dem Verzicht auf ihren Geliebten zu leiden, die dem Leser und den Protagonisten

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