Warum Liebe Weh Tut
Defizit desjenigen, der eine solche Wahl trifft. Ein Beispiel:
Vor etwas mehr als zweieinhalb Jahren fiel es mir wie Schuppen von den Augen, daß ich mich nicht nur immer wieder in einen Mister Unerreichbar (emotional unerreichbaren Mann) verliebte, sondern unter Bindungsangst litt und ohne, daß ich es mitbekam, alle meine Beziehungen sabotierte . Ich begann damit, meine Einsichten hier und auf Baggage Reclaim [einer anderen Website] mitzuteilen und bin immer noch verblüfft, wie vielen Frauen es genauso geht wie mir. [81]
Oder: »Ich brauchte ›Jahrhunderte‹, bis ich nicht mehr den Männern die Schuld gab, sondern begann, selbst die Verantwortung für mein geringes Selbstwertgefühl zu überneh 272 men , und dafür, wie sich dies auf meine Entscheidung für bestimmte Männer auswirkte.« [82]
In ähnlicher Weise erklärt die oben zitierte Irene – die ihre gesamten Ersparnisse abgehoben hatte, um zu ihrem Freund umzusiedeln, nur um festzustellen, daß dessen Leidenschaft abgekühlt war –, warum sie ihn sogar nach ihrer Trennung immer noch liebte:
INTERVIEWERIN : Können Sie das erklären?
IRENE ( Lange Pause ): Ich weiß, daß es irrational ist, aber ich glaube, tief im Innern hatte ich das Gefühl, daß es mein Fehler war. Daß ich etwas getan haben mußte, was ihn in die Flucht schlug.
INTERVIEWERIN : Was zum Beispiel?
IRENE : Daß ich zum Beispiel vielleicht zu liebevoll, zu erreichbar für ihn war. Ich weiß nicht. Ach, wissen Sie, daß ich es zuließ, daß meine kaputte Kindheit mein Leben durcheinanderbrachte ( lacht ).
Diese Frauen sehen sich kulturell gezwungen, die (beschönigend als »Verantwortung« bezeichnete) Schuld dafür zu übernehmen, daß sie Beziehungen mit unerreichbaren Männern eingehen, und geben sich, als wäre dies noch nicht genug, sogar noch die Schuld dafür, daß sie »zu sehr lieben«. Was hier in Anschlag gebracht wird, ist die unausgesprochene psychologische Auffassung, daß das Selbst dafür verantwortlich ist, die falschen Entscheidungen zu treffen und tatsächlich auf Anerkennung und Geltung mit ihrer inhärent sozialen Grundlage angewiesen zu sein. Noch ein Beispiel:
INTERVIEWERIN : Können Sie sagen, was Sie in Ihren Beziehungen mit Männern schwierig gefunden haben?
OLGA : Ja, das kann ich problemlos sagen. Es ist, daß ich nie weiß, wie ich mich verhalten soll. Ist man zu nett, dann befürchtet man, verzweifelt zu erscheinen; gibt man sich zu kühl, dann sagt man sich, daß man ihn nicht genügend ermutigt hat. Aber wissen Sie, meinem Naturell entspricht es, nett zu sein, den Männern zu zeigen, daß ich sie will, und irgendwie habe ich das Gefühl, daß sie das vertreibt.
273 In manchen Strängen der psychoanalytischen Theorie soll das ideale Selbst in der Lage sein, Autonomie und Verbundenheit unter einen Hut zu bringen. Die populäre Version der Therapie jedoch – diejenige, welche »Frauen, die zu sehr lieben«, den Rat erteilt, weniger zu lieben, und darüber hinaus die Kraft der »Selbstwertschätzung« und »Selbstbehauptung« anpreist – hat die Autonomie ins Zentrum des Selbst und der zwischenmenschlichen Beziehungen gerückt. Die therapeutische Überzeugung geht die Hauptschwierigkeit in der Moderne, nämlich ein vernünftiges Selbstwertgefühl zu entwickeln, an, indem sie die Akteure und insbesondere die Frauen auffordert, Eigenliebe zu entwickeln und, schlimmer noch, sich unzulänglich zu fühlen, wenn sie so lieben, wie man es Frauen beibringt, nämlich durch offene Zurschaustellung von Fürsorglichkeit. Die Frage von Geltung und Wert wird im wesentlichen als ein Problem verstanden, welches das Selbst mit sich selbst hat, nicht als ein Problem der Anerkennung, das man per definitionem nicht allein verursachen kann. Damit spielt das Thema der »Eigenliebe« das Thema der Autonomie grundsätzlich hoch und verstrickt das Selbst noch tiefer, indem es ihm die Bürde des Scheiterns der Liebe aufhalst. Es ist diese moralische und kulturelle Struktur, die den grundlegenden Wandel von Schuld, Verantwortung und Rechenschaft in modernen Beziehungen erklärt. Wenn sie die Frage behandeln, wie man mit der Angst und Unsicherheit fertig wird, die der Partnersuche innewohnen, ähneln die populärpsychologischen Ratschläge in ihrer Mehrzahl somit auf merkwürdige Weise dem Rat, den das ungemein erfolgreiche Werk The Rules erteilt: »Paß auf dich auf, nimm ein Schaumbad und baue deine Seele mit positiven Slogans auf, also zum
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