Warum Liebe Weh Tut
Momenten befürchte ich, des Guten zuviel getan zu haben. Was auch immer zutrifft, etwas stimmt wohl grundsätzlich mit mir nicht. Und was auch immer nicht stimmt, muß mit mir nicht stimmen. So zumindest scheint es alle Welt zu sehen und in Anspielungen zum Ausdruck zu bringen. Nicht laut natürlich, und nur indirekt. Aber wenn man 31 Jahre alt und immer noch Single ist, dann bildet sich ein stillschweigender Konsens um einen herum, der besagt, es muß wohl an einem selbst liegen. Und wissen Sie was? So langsam glaube ich, daß dem womöglich so ist.
Gehen wir also geradeheraus davon aus, daß ich selbst schuld bin. Ich stimme dem Urteil zu. Ich neige mein Haupt und verkünde, daß ich bereit und willens bin, meine Art zu ändern – wenn mir nur irgend jemand, verdammt noch mal, verraten würde, was genau ich ändern muß und wie. Wenn man mich nämlich fragt, dann habe ich schon sämtliche Techniken ausprobiert, die der moderne Mensch kennt. Ich habe zu viele schlechte Kuchen bei Verabredungen gegessen, zu viele Gläser Whiskey in Anmachbars getrunken, zu viele witzige Chats im Internet gehabt, ich habe zu viele feuchte Hände in New-Age-Zirkeln gehalten und bin immer noch nicht aus dem ganzen Schlamassel heraus. Also bitte. Ihr seid herzlich eingeladen, mir zu sagen, was ihr denkt, denn die Wahrheit ist, daß mir die Ideen ausgegangen sind.
Ja, ich bin wütend. Und ich habe gute Gründe dafür. Ich habe meine Einsamkeit ziemlich lange tapfer und großmütig ertragen. Ich bin optimistisch geblieben und habe den Kopf hochgehalten, mit Würde und Geduld. Ich habe gezeigt, daß ich zur Eigenliebe fähig bin. Zur Liebe zur Welt und zur Liebe im allgemeinen. Ich habe erst gelernt, offener zu sein, dann, mich mehr zurückzuhalten, und dann wieder, offener zu sein, und jetzt weiß ich nicht mehr weiter. Ich möchte – nein, ich verlange – Liebe. Laßt mich endlich mit einem Mann nach Hause gehen, der keine weitere Narbe in meinem Stolz ist, sondern ein Trost für ein Herz, das seit vielen Jahren vergessen in der Tiefkühltruhe liegt. Gebt mir nur endlich diese Liebe, um Gottes willen, denn ich habe schon zu lange in der Schlange gestanden und gewartet, und jetzt ist der Moment gekommen, unmißverständlich zu sagen: Jetzt bin ich dran. [86]
277 Die Struktur dieser Selbstbeschuldigung hat mit der Verteilung des Privilegs der Autonomie zwischen beiden Geschlechtern zu tun. Weil der Selbstwert der Frauen am engsten mit der Liebe verknüpft ist, weil Frauen die Hauptzielgruppe psychologischer Beratung waren und weil der Rückgriff auf psychologische Beratung ihre Beschäftigung damit fortsetzt, sich selbst und ihre Beziehungen zu überwachen, haben Frauen auch mit größerer Wahrscheinlichkeit die Struktur jener Beratung verinnerlicht, die da besagt: Verlassen zu werden oder schlicht Single zu sein, verweist auf eine Unzulänglichkeit des Selbst, das an seiner eigenen Niederlage spinnt. Ich behaupte, daß sich Männer und Frauen im Ausmaß ihrer Selbstbeschuldigung unterscheiden. Oder, anders gesagt, daß die Spannung zwischen Anerkennung und Autonomie kulturell mit Hilfe einer therapeutischen Sprache bewältigt wird, die auf je unterschiedliche Weise in die Positionen und Beziehungen von Männern und Frauen eingeschrieben ist.
Ein Zweifel, aus dem Sicherheit erwächst, könnte eine typische Gedankenfigur für einen Mann sein, der sich seiner selbst bemächtigt. Der von mir beschriebene Selbstzweifel jedoch ist eine weibliche Gedankenfigur und verweist auf eine Subjektivität, die in der Spannung zwischen Autonomie und Anerkennung gefangen ist und der es an einer klaren und starken sozialen Verankerung mangelt, wie man sie braucht, um Selbstwert zu entwickeln. Dies zeigt sich an einem der frappierendsten Ergebnisse meiner Untersuchung, nämlich daß sich Frauen oft selbst für ihre romantischen Schwierigkeiten und Fehlschläge verantwortlich machen, was Männer nur in sehr viel geringerem Umfang tun. Daß der Mann im Prozeß der Überwachung von Anerkennung – den er einleitet und dessen Fluß er kontrolliert – die Oberhand hat, wird auch dadurch evident, daß er sich in weitaus geringerem Maß die Verantwortung für das Gelingen oder Scheitern einer Beziehung gibt. Nehmen wir zum Beispiel 278 Sye, einen 52jährigen, beruflich sehr erfolgreichen geschiedenen Mann, der auf eine lange Reihe monogamer Beziehungen zurückblickt:
INTERVIEWERIN : Ich habe eine Frage, die etwas von unseren bisherigen Themen
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