Warum Liebe Weh Tut
abweicht: Ist es Ihnen je widerfahren, kommt es vor, daß Sie an sich selbst zweifeln? Bei allem, was mit Liebeserlebnissen zu tun hat – bin ich attraktiv/verlockend genug? Bin ich gut genug? Etwas … haben Sie jemals Zweifel dieser Art gehabt?
SYE : Nein, nie.
INTERVIEWERIN : Nie.
SYE : Nie.
INTERVIEWERIN : Sie wollen sagen, Sie haben sich immer begehrt gefühlt?
SYE : Ja.
INTERVIEWERIN : Von Frauen, meine ich.
SYE : Ja, ja.
INTERVIEWERIN : Und Sie hatten immer das Gefühl, die Frauen waren eher hinter Ihnen her als umgekehrt?
SYE : Ja. Absolut. Ich hatte vielleicht ein- oder zweimal eher negative Erlebnisse, wo ich eine Frau wollte, die mich nicht wollte. Ich kann mich an zwei Erlebnisse dieser Art erinnern, aber das ist nicht die prägende Erfahrung.
INTERVIEWERIN : Mit anderen Worten, die prägende Erfahrung für Sie ist, daß Sie das Sagen haben.
SYE : Zumindest in den letzten 22 Jahren.
INTERVIEWERIN : Sagen wir also, wenn Sie eine Frau wollen, dann ist Ihre Erfahrung, daß Sie sie mit großer Wahrscheinlichkeit kriegen können.
SYE : Nein, so stimmt das nicht, das würde ich nicht sagen, aber sie wollten mich immer eher, als ich sie wollte. Was ich meine ist, daß sie mehr hinter mir her waren, die Frauen waren mehr hinter mir her als ich hinter ihnen, und bestimmte Frauen, die ich wollte, wollten mich um so mehr. Einmal hat mich eine Frau interviewt, und schon als sie um das Interview bat, dachte ich über sie nach, ich widmete ihr meine Aufmerksamkeit, sie war intelligent. Und nach dem Interview rief ich sie an und fragte sie, ob sie ungebunden sei, »weil ich sie wirklich mag«. Sie sagte, sie wolle es auch, sei aber gegenwärtig gebunden. Das ist mir einmal passiert, aber ich hatte nicht das Gefühl, zurückgewiesen zu werden.
279 Ich behaupte natürlich nicht, daß dieses Interview die Erfahrung aller Männer widerspiegelt; es beschreibt jedoch, was es heißt, das sexuelle Feld zu kontrollieren, eine Situation, in der sich manche Männer und manche Frauen befinden. Der Prozeß der Anerkennung ist nicht nur nach dem sozialen Geschlecht gespalten, sondern könnte vielmehr die grundlegenden sozialen Trennungen zwischen Männern und Frauen ausdrücken. Denn im Unterschied zu Hegels Dialektik von Herr und Knecht, in der der Herr strenggenommen nur von einem autonomen Knecht anerkannt werden kann, sind Männer weniger auf die Anerkennung der Frauen angewiesen als umgekehrt – und zwar deshalb, weil sowohl Männer als auch Frauen die Anerkennung durch andere Männer brauchen.
Schluß
Über die Folgen des cartesischen Zweifels für die Moderne nachdenkend, schreibt Hannah Arendt: » [W]as in der Neuzeit verlorenging, war natürlich weder das Wissen um Wahrheit und Wirklichkeit oder das Vermögen, zu glauben und zu vertrauen, an sich noch die fraglose Anerkennung des Zeugnisses der Sinne wie der Vernunft, ohne die niemand leben kann, sondern die Gewißheit , die all dies, das Wissen wie den Glauben, einmal begleitet hatte.« [87] In gleicher Weise können wir sagen: Was in der modernen Erfahrung des romantischen Leids verlorengegangen ist, ist die ontologische Sicherheit, die aus der Organisation der Partnersuche in einer moralischen Ökologie der Wahl, der Verbindlichkeit und des Rituals ebenso herrührt wie daraus, daß der Selbstwert in das soziale Gewebe der Gemeinschaft eingelassen ist. Die ontologische Unsicherheit, die das romantische Leid 280 begleitet, ist ungleich verteilt. Weil das Gebot der Autonomie über das Gebot der Anerkennung triumphiert, leben Frauen in der Hypermoderne eines sehr uncartesischen Selbstzweifels, bei dem ihnen nur wenige oder überhaupt keine moralischen Rahmenbedingungen zur Verfügung stehen, um Sicherheit zu erlangen.
Das heißt: Während ein (männlicher) cartesischer Selbstzweifel letztlich zur Versicherung der eigenen Position, des eigenen Wissens und der eigenen Empfindungen in der Welt führt, untergräbt der durch die therapeutische Kultur der Autonomie und Eigenliebe geprägte (weibliche) Selbstzweifel den ontologischen Grund des Selbst.
357 5.
Von der romantischen Phantasie zur Enttäuschung
Keine Liebe ist originell.
– Roland Barthes
Heard melodies are sweet, but those unheard
Are sweeter …
– John Keats *
Der Gebrauch der Vorstellungs- oder Einbildungskraft war für die Entstehung eines modernen Bewußtseins ebenso entscheidend wie der Begriff der Vernunft. Wie ich zu zeigen versuchen werde, gilt dies
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