Warum Liebe Weh Tut
nach Indien reiste; ja, dieser fürchterliche Alptraum hat ungefähr sieben Monate angedauert.
INTERVIEWERIN : Ein fürchterlicher Alptraum.
SHIRA : Ein fürchterlicher Alptraum. Es fühlt sich an, als sei man nichts, und man wartet darauf, nur ein einziges Wort von ihm zu hören, um sich für einen Moment wieder mit sich selbst wohl zu fühlen, 267 ich hatte das Gefühl, ich müßte einfach nur hören, daß er mich noch immer liebte, daß ich nicht diese schreckliche Person war . In dieser Zeit fragte ich ihn tausendmal, was passiert war, ich war besessen von der Frage, was passiert war und warum es passiert war; ich bin jemand, der verstehen muß, und ich konnte nicht akzeptieren, daß ich partout nicht verstand, daß so etwas einfach zu Ende ging. (Meine Hervorhebungen)
Die Verfasserin eines autobiographisch grundierten Romans über das Leben als weiblicher Single schildert das Erlebnis einer Trennung. In Stell dir vor, du bist Single – und keiner merkt’s erzählt Suzanne Schlosberg von einer dreijährigen Beziehung mit einem Mann. Als deutlich wird, daß dieser nicht die Absicht hat, sie zu heiraten, mit ihr zusammenzuleben oder Kinder mit ihr zu haben, trennt sie sich von ihm.
Bald darauf verfiel ich in leichte Formen einer Selbstgeißelung. […] Gewiss, er hatte seine schwachen Momente, aber wer behauptete denn, ich wäre perfekt? Vielleicht brauchten wir nichts weiter als ein bisschen mehr Zeit. Vielleicht hätte ich einen Weg finden können, damit es doch klappte. Vielleicht, wenn ich nicht so anspruchsvoll, so ungeduldig, so engstirnig gewesen wäre . Vielleicht … vielleicht war alles mein Fehler? [78]
Eines der vielleicht besten Beispiele für diese Art von Selbstbeschuldigung stammt aus der »Modern Love«-Kolumne der New York Times . Die Verfasserin eines Textes über die Schwierigkeiten einer Umsiedlung nach San Francisco sinniert: »Ich kam immer wieder auf dieselbe Frage zurück, wie sehr ich mich auch dafür haßte, sie zu stellen: Wenn ich es wert wäre, geliebt zu werden, stünde dann nicht jetzt hier ein Mann neben mir?« Auf den Punkt gebracht wird dieser Gedankengang in dem internationalen Bestseller Schoko 268 lade zum Frühstück . Hier behauptet die alleinstehende Anfang dreißigjährige Bridget:
Sitzengelassen zu werden ist grausam. Nicht nur, daß einem der Betreffende fehlt oder daß die ganze kleine Welt zusammengebrochen ist, die man sich gemeinsam erschaffen hat. Schlimm ist vor allem, daß alles, was man sieht oder tut, einen an den anderen erinnert. Aber am schlimmsten ist der Gedanke, daß er einen ausprobiert hat, um einem am Ende doch nur den Stempel ABGELEHNT aufzudrücken. [79]
Wenn wir diese zeitgenössischen Geschichten mit denen Jane Austens vergleichen, treten die Unterschiede offen und deutlich hervor: In ersteren ist es die verlassene Person, die sich unzulänglich und sogar schuldig fühlt. In diesen Darstellungen ist das elementare Selbstgefühl ernsthaft gefährdet. Statt einer moralischen Verurteilung ziehen diese Frauen eine direkte Verbindung zwischen dem Weggang ihrer Lebenspartner und ihrem Selbst und Selbstwertgefühl. Es ist nicht weniger als Shiras Selbstgefühl, das zum zentralen Schauplatz des Dramas von Trennung und Verlassensein wird. Verlassen zu werden, ist für Shira eine Erfahrung, die auf ein wesentliches, wenn auch unverstandenes Manko ihres Selbst hinweist. Doch ist eine solche Erfahrung, die als psychische und private erlebt wird, vornehmlich eine soziale, insofern Shiras Gefühl, unwürdig zu sein, vor allem mit dem Repertoire an Gründen zu tun hat, mit dem sie sich selbst den Weggang ihres Freunds erklärt, [80] wobei dieses Repertoire wiederum damit zusammenhängt, daß sie keine moralische Sprache gebraucht, um das Verhalten des Mannes zu verstehen oder zu verurteilen.
Auf den ersten Blick könnte der Grund für diese Ermangelung einer moralischen Sprache trügerisch offensichtlich 269 sein: Moderne Intimbeziehungen basieren auf Vertragsfreiheit, und eine solche Freiheit schließt die Möglichkeit aus, jemanden moralisch für einen Rückzug verantwortlich zu machen. Doch vermag diese Argumentation Shiras oder Bridgets Geschichten nicht befriedigend zu erklären. Denn deren springender Punkt besteht ja darin, daß sie sich verantwortlich dafür fühlen, verlassen worden zu sein, und folglich als wertlos empfinden. Es ist diese implizite Kette von Ursache und Wirkung, die diese Geschichten strukturiert und
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