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Warum Liebe Weh Tut

Warum Liebe Weh Tut

Titel: Warum Liebe Weh Tut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Illouz
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Vernunft der Geist ist, die Liebe jedoch durch die Sinne entfacht wird und in diesen gründet. Wollte man dies für bare Münze nehmen, so wäre die Einbildungskraft hier eine irrationale geistige Aktivität, die in den Sinnen wurzelt. Shakespeare jedoch bringt die entgegengesetzte (und hochmoderne) Auffassung zum Ausdruck.   – In einem Monolog beansprucht Helena, so schön zu sein wie Hermia, als Liebesobjekt aber systematisch geschmäht und gemieden worden zu sein.
     
    Wie kann das Glück so wunderlich doch schalten!
    Ich werde für so schön wie sie gehalten.
    Was hilft es mir, solang Demetrius
    Nicht wissen will, was jeder wissen muß?
    Wie Wahn ihn zwingt, an Hermias Blick zu hangen,
    Vergöttr’ ich ihn, von gleichem Wahn befangen.
    Dem schlechtsten Ding an Art und an Gehalt,
    363 Leiht Liebe dennoch Ansehn und Gestalt.
    Sie sieht mit dem Gemüt, nicht mit den Augen,
    Und ihr Gemüt kann nie zum Urteil taugen.
    Drum nennt man ja den Gott der Liebe blind.
    Auch malt man ihn geflügelt und als Kind,
    Weil er, von Spiel zu Spielen fortgezogen,
    In seiner Wahl so häufig wird betrogen.
    Wie Buben oft im Scherze lügen, so
    Ist auch Cupido falscher Schwüre froh.
    Eh’ Hermia meinen Liebsten mußt’ entführen,
    Ergoß er mir sein Herz in tausend Schwüren;
    Doch, kaum erwärmt von jener neuen Glut,
    Verrann, versiegte diese wilde Flut.  [10]
    Shakespeares Traum gibt dem vertrauten Topos der Irrationalität der Liebe eine interessante Wendung, indem er diese Irrationalität darauf zurückführt, daß die Liebe im Geist wurzelt und nicht in den Sinnen . »Sie sieht mit dem Gemüt, nicht mit den Augen«: Weil die Liebe im Geist angesiedelt ist, ist sie den Kriterien einer rationalen Diskussion weniger leicht zugänglich, als wenn sie eine Sache der Augen wäre. Unter Geist ist hier die subjektiv erzeugte Menge verschlungener, für die Außenwelt undurchdringlicher Assoziationen zu verstehen. Die Augen hingegen vermitteln zwischen dem Selbst und der äußeren Welt: Der Gegenstand des Sehvermögens ist gleichsam objektiv gegeben, und in diesem Sinne trauen die Augen der dem Subjekt äußerlichen Realität. Helena fordert, die Liebe möge in den Sinnen (den Augen) wurzeln, nicht im Geist, weil letzterer gerade das ist, was den Prozeß des Beurteilens/Liebens eines anderen von dessen Wert in der objektiven Welt der Objekte ablöst. Der Geist ist hier nicht nur der Ort, an dem die Vorstellungskraft ausgeübt wird, sondern auch ihre Quelle. Was die Liebe zu einer Form von Wahnsinn macht, ist, daß sie keine Verbindung zum Realen unterhält.
    364 Auf der Grundlage des medizinischen Diskurses des 16.   Jahrhunderts erklärt der Sommernachtstraum die romantische Einbildungskraft gerade deshalb für eine Form von Wahnsinn, weil ihr eine – physische oder psychische   – Verankerung fehlt. Für Freud ist die romantische Imagination, wie irrational sie auch sein mag, im frühkindlichen Bild eines Elternteils oder im Bedürfnis und Begehren, ein frühkindliches Trauma zu bewältigen, verankert; in Shakespeares Stück jedoch ist die Irrationalität der Liebe radikal, weil die Einbildungskraft sie zu einem willkürlichen, keiner Erklärung zugänglichen Gefühl macht – oder zu einem Stiftungsereignis selbst der psychoanalytischen Spielart. Im Sommernachtstraum ist die Liebe eine Erfahrung, die wir nicht in den Griff bekommen, weder auf rationale noch auf irrationale Weise. Zu behaupten, sie folge der Logik des Unbewußten, hieße zu behaupten, sie folge überhaupt einer Logik. Der Schlüssel zu dem Stück besteht darin, daß es keinen wirklichen Unterschied zwischen vernünftiger und verrückter Liebe gibt, unterscheidet sich doch die »vernünftige« Liebe nicht grundsätzlich von den rasenden Gefühlen, denen Drolls Opfer erliegen. Die romantische Vorstellungskraft, die hier eine Chiffre für Wahnsinn ist, verwandelt die Liebe in ein irrationales und aus sich selbst heraus erzeugtes Gefühl, das sich der Identität der geliebten Person gar nicht bewußt ist. Dieses Verständnis der Liebe unterstreicht, worin sich spätere Auffassungen von Liebe und Einbildungskraft von dieser frühen Verdächtigung der Einbildungskraft unterscheiden und worin sie ihr gleichen. Shakespeares Stück nimmt die Befragung des Wesens der durch die Vorstellungskraft ausgelösten Gefühle vorweg, erwähnt aber keines der Themen, die Philosophen und Schriftsteller vom 18. Jahrhundert an beschäftigen sollten: sei es der Einfluß von

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