Warum Liebe Weh Tut
beschreibt sie als kleine Irritationen, die entweder den Charakter eines Menschen (»warum liest du ausgerechnet Zeitung, während ich aufräume?«, »warum wirfst du mir immer vor, ich würde mich nicht genug um dich kümmern?«) oder seine Art und Weise, mit Dingen umzugehen, betreffen (»warum schraubst du nie den Deckel richtig zu?«, »warum schnüffelst du immer am Essen herum, bevor du ißt?«). Diese Irritationen beziehungsweise ihr Anlaß – relativ kleine oder unbedeutende Gesten oder Wörter – scheinen eine typisch moderne Erfahrung zu sein, in der sich ein neues Verständnis und eine neue Organisationsform von Beziehungen widerspiegelt. Kaufmanns Analyse gewährt keine Einsicht in die Gründe, warum das moderne Alltagsleben einen so fruchtbaren Boden für diese Form von »Gereiztheit« bietet. Meines Erachtens verdanken sich derartige Irritationen der Art und Weise, wie Häuslichkeit durch institutionalisierte Nähe und Intimität organisiert wird, wie wir dies nennen könnten.
Intimität wird durch verschiedene sprachliche Strategien hergestellt, die alle darauf abzielen, die Distanz zwischen zwei Menschen abzubauen. Zu diesen Strategien gehört es etwa, tiefere Schichten seiner Identität zu offenbaren, einander seine am besten gehüteten Geheimnisse zu verraten, sein Inneres ungeschützt preiszugeben, in einem Zimmer und Bett zu schlafen, seine Freizeit gemeinsam zu gestalten, um miteinander am selben Ort Zeit zu verbringen. Die außergewöhnliche Zunahme an Freizeit im 20. Jahrhundert läßt sich nicht davon trennen, daß Männer und Frauen ihre Freizeit zunehmend als Begegnungsort nutzen, um gemeinsame Erfahrungen zu sammeln und miteinander vertraut zu werden. Vertrautheit und Nähe sind gewiß die Hauptziele 398 von Paarbildung und Intimität. Zusammen mit der Rationalisierung des Alltags institutionalisiert die Vertrautheit das Selbst derart, daß es das Ferne, Unvertraute oder Unvorhersehbare an einer anderen Person beseitigt. Doch auch wenn dies auf den ersten Blick nicht einleuchtet, führen meines Erachtens Vertrautheit und Nähe in Wirklichkeit zu größeren »Irritationen«.
Man kann dies mit einem Umkehrschluß plausibel machen. Wie eine Untersuchung zeigt, sind Fernbeziehungen stabiler als Nahverhältnisse. Die Forscher begründen dies damit, daß es leichter fällt, seinen Partner zu idealisieren, wenn er entfernt lebt. [43] Idealisierung ist negativ mit der Frequenz der Interaktion korreliert. Es fällt leichter, positiv über den anderen zu denken, wenn er abwesend ist. Umgekehrt institutionalisieren zusammenlebende Paare ihre Beziehung in verschiedener Weise durch Nähe: Sie teilen Raum, Zimmer und Bett, sie unternehmen gemeinsame Freizeitaktivitäten und inszenieren ihr wahres Selbst durch den ritualisierten Ausdruck von Authentizität. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein sahen die familiären Strukturen in der Oberschicht noch ganz anders aus: Männer und Frauen schliefen nicht unbedingt im selben Schlafzimmer; sie verbrachten ihre freie Zeit getrennt und teilten einander nicht permanent ihre Gefühle und ihr Innenleben mit. Zur Veranschaulichung des anderen kulturellen Musters dessen, was Menschen im 19. Jahrhundert als »Probleme« ansahen, möchte ich aus einem Brief zitieren, in dem Harriet Beecher Stowe ihrem Mann gegenüber die Probleme ihrer Ehe zusammenfaßt:
Wenn ich über unsere künftige Verbindung – unsere Ehe – und die früheren Hindernisse auf dem Weg zu unserem Glück nachdenke, so scheint mir, daß sie von zweier- oder dreierlei Art sind. Erstens von 399 jener körperlichen Art sowohl bei Dir als auch bei mir – wie der hypochondrischen kränklichen Labilität auf Deiner Seite, für welche die einzige Medizin in leiblicher Pflege und der Beachtung der Gesetze der Gesundheit besteht – und auf meiner Seite gibt es jenes Übermaß an Empfindlichkeit und Desorientiertheit sowie mangelnder Kontrolle über meinen Geist und mein Gedächtnis. Dies steigert sich bei mir immer im Verhältnis dazu, wie man mich tadelt und an mir herumkrittelt, und ich hoffe, daß es mit zunehmender Gesundheit nachlassen wird. Ich hoffe, daß wir beide von einem höchst feierlichen Gefühl für die Wichtigkeit einer klugen und permanenten Beachtung der Gesetze der Gesundheit erfüllt sein werden.
Dann an zweiter Stelle das Fehlen eines jeglichen konkreten Plans gegenseitiger Wachsamkeit, was unsere wechselseitige Verbesserung angeht, einer festgesetzten Zeit und
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