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Warum Liebe Weh Tut

Warum Liebe Weh Tut

Titel: Warum Liebe Weh Tut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Illouz
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hier durch die Unerfülltheit einer Liebe ineinander und werden ununterscheidbar. Die Einbildungskraft wird zu einer Form und einem Vektor, um begehren zu können, und umgekehrt wird das Begehren in Form der Einbildung intensiver erfahren. Begehren und Phantasieren sind nicht nur ineinander verschlungen, sondern zu einem selbstzweckhaften Tun geworden. Daniel, ein anderer Befragter, führt aus:
     
    DANIEL : Ich hasse One-Night-Stands. Das fühlt sich so leer an. Ich brauche das ganze Paket, das es mir zu phantasieren erlaubt. Ich muß phantasieren.  […] Ohne Liebe fehlt mir jede Inspiration für meine Arbeit – sie ist meine Droge. Ich kann nicht allein sein. Ich meine damit, ich kann in meinem Kopf nicht allein sein, nicht physisch. Ich habe nicht das geringste Interesse an Intimität in vier Wänden. Die ganze Geschichte mit dem Familienleben ist für mich durch. Nicht aber die Phantasie.
    Hier wird die Phantasie gleichermaßen reinen Sexbeziehungen (One-Night-Stands) und dem Familienleben entgegengesetzt, denen, wie mir scheint, gemeinsam ist, daß sie kein Phantasieren ermöglichen, wie es durch eine narrative/ästhetische Form begünstigt wird. Oder wie eine 44jährige Französin ihre Fernbeziehung mit einem Mann beschreibt, der in den Vereinigten Staaten lebt: »Es ist viel vorteilhafter für mich, wenn er weg ist; ich habe das Gefühl, daß unsere Beziehung immer großartig bleiben wird, weil sie zu einem guten Teil im Kopf gelebt wird.« Wie diese Stimmen nahelegen, dreht sich die hypermoderne Vorstellungskraft um das Begehren des Begehrens, darum, in einem Zustand 419 des ewigen Begehrens zu verharren und die Erfüllung des Begehrens freiwillig aufzuschieben, gerade um das Begehren und das begehrte Objekt in ästhetischer Gestalt aufrechtzuerhalten. Man beachte, daß Phantasie und emotionale Intensität hier ineinandergreifen – die Fähigkeit, sich etwas vorzustellen, bringt intensiv empfundene Gefühle hervor. Das Familienleben wird gerade deshalb verworfen, weil es diese Fähigkeit, Gefühle in imaginierten Szenarien auszuleben, bedroht. Zudem scheint in den zitierten Darstellungen die Phantasie nicht auf die Inbesitznahme eines Objekts, sondern nur auf die Inbesitznahme ihrer selbst zu zielen, also auf die phantasmagorische Lust, die sie bereitet. Dies zeigt sich auch in der Beschreibung einer außerehelichen Affäre, die mir eine 47jährige Frau namens Veronica gab:
     
    VERONICA : Wissen Sie, der vergnüglichste Aspekt waren vielleicht die E-Mails, die wir uns von zu Hause aus schrieben, wovon unsere Ehepartner nichts wußten, und es war eine so süße Qual, darauf zu warten, ihn zu sehen, endlos nachts über ihn zu phantasieren, aber auch nach dem Aufwachen und während der Arbeit. Wenn man in einer solchen Lage ist, in der man nicht miteinander sprechen und sich sehen kann, wann man will, dann führt das zu wirklicher Sehnsucht nach ihm. Manchmal fragte ich mich sogar, ob ich ihn nicht mehr in meiner Vorstellung liebte als im wirklichen Leben, weil sich die Phantasie soviel intensiver anfühlte.
    INTERVIEWERIN : Wissen Sie, warum das so ist?
    VERONICA : Aua, was für eine Frage, das ist schwer zu sagen. ( Lange Pause ) Ich vermute, das liegt daran, daß man alles viel besser kontrollieren kann; alles sieht so aus, wie man es möchte; wenn man schreibt, dann schreibt man so, wie man wahrgenommen werden möchte, man macht keine Fehler. Natürlich kann man Höllenqualen erleiden, wenn er einem nicht antwortet, aber trotzdem hat man den Eindruck, daß man sich sein eigenes Drehbuch schreiben kann, während wenn man sich trifft, alles gleich soviel komplizierter wird, man wird unruhiger, reizbarer, man möchte bei ihm sein, man möchte wegrennen, man mag ihn, man mag ihn nicht; beim Schreiben sind irgendwie alle Gefühle so, wie sie sein sollten.
    420 Mit Phantasie und Einbildungskraft geht keine Unordnung einher, wie man in der langen Kulturgeschichte der Verdammung der Einbildungskraft oft gedacht hat, sondern Kontrolle – die Fähigkeit, die eigenen Gedanken zu beherrschen und zu formen, der Erfahrung eine stabile und ästhetische Form zu geben. Auch sind die Phantasien dieser Männer und Frauen selbstzweckhaft, sie werden um ihrer selbst willen gelebt und nicht als Quelle des Leidens verstanden, sondern als Quelle der Lust.
    Es gibt auch Fälle wie den von Orit, einer 38jährigen Frau, die als Assistentin im Sekretariat einer NGO arbeitet. Sie erzählt, wie sie sich in einen Mann

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