Warum Liebe Weh Tut
verbunden, Männer hätten in Liebesdingen nicht auch gewaltig zu kämpfen. Ich habe mich 427 auf die Frauen konzentriert, weil mir ihr Gelände vertrauter ist; weil Frauen unaufhörlich von einer psychologischen Selbstgestaltungsindustrie bombardiert werden und dringend damit aufhören müssen, permanent ihre sogenannten psychischen Mängel zu hinterfragen; und weil ich, wie viele andere, glaube, daß das Leiden unter Gefühlen – wenn auch auf komplizierte Weise – mit der Verteilung wirtschaftlicher und politischer Macht zusammenhängt. Wenn es eine grundsätzliche Schwierigkeit oder Quelle des Unbehagens gibt, für die dieses Buch eine Erklärung zu finden versucht hat, dann die, daß die feministische Revolution – die nicht nur nötig und heilsam war, sondern auch unvollendet ist – die männliche und weibliche Sehnsucht nach Liebe und Leidenschaft nicht hat erfüllen können. Freiheit und Gleichheit müssen im Kern unserer normativen Liebesideale verankert bleiben, doch ob und wie diese politischen Ideale Leidenschaft und Verbundenheit herzustellen vermögen, bleibt ein kulturelles Rätsel, das ich im vorliegenden Buch zu erhellen versucht habe. Die heterosexuellen Frauen der Mittelschicht befinden sich daher in der merkwürdigen historischen Lage, so souverän über ihren Körper und ihre Gefühle verfügen zu können wie nie zuvor und dennoch auf neue und noch nie dagewesene Weise von Männern dominiert zu werden.
Das dritte mögliche Mißverständnis, das ich ausräumen möchte, wäre die These, Liebesunglück sei ein neues, mit der Moderne verbundenes Phänomen oder gar, die Menschen litten heute stärker unter der Liebe als früher. Die stechenden Schmerzen des Liebeskummers sind ein so altes Motiv der Weltliteratur wie die Darstellung der Liebe selbst, und vergangene Epochen verfügen über ihr eigenes überreiches Arsenal an Beispielen und Modellen für die Qualen der Liebe. Doch ebenso, wie sich ein moderner selbstzugefügter Schmerz von mittelalterlichen Selbstgeißelungsritualen unterscheidet, sind in den modernen romantischen Schmerz neue soziale und kulturelle Erfahrungen eingelagert. Das 428 soll selbstverständlich nicht heißen, daß manche dieser Erfahrungen nicht auch veränderungsresistente Elemente einschließen, doch wie jegliche Forschung mit der bewußten Entscheidung einhergeht, sich auf bestimmte Aspekte eines Phänomens zu konzentrieren und andere auszublenden, so hat sich auch dieses Buch bewußt auf das konzentriert, was am romantischen Leid neu ist. Ich habe zu zeigen versucht, daß die romantische Liebe der Schauplatz eines paradoxen Prozesses ist: Moderne Individuen sind unendlich viel besser ausgerüstet als Menschen je zuvor, um mit der wiederholten Erfahrung des Verlassenwerdens, Betrogenwerdens oder einer Trennung zurechtzukommen, insofern sie, zumindest im Prinzip, mit Abgeklärtheit, Autonomie, Hedonismus, Zynismus und Ironie auf diese Erfahrungen reagieren können. Tatsächlich gehen die meisten Menschen schon in jungen Jahren davon aus, daß der Weg zur romantischen Liebe alles andere als ein gerader sein wird. Doch ist genau das die Pointe dieses Buchs: Eben weil wir zahlreiche Strategien entwickelt haben, um mit der Zerbrechlichkeit und Austauschbarkeit von Beziehungen umzugehen, rauben viele Aspekte der zeitgenössischen Kultur dem Selbst die Fähigkeit, sich auf die volle Erfahrung der Leidenschaft einzulassen und sie zu leben – sowie den Zweifeln und Unsicherheiten zu widerstehen, mit denen der Prozeß des Liebens und sich Bindens einhergeht. Die Form der Liebe hat sich insofern verändert, als sich verändert hat, auf welche Weise sie weh tut.
Und schließlich ist das vorliegende Buch, obwohl es sich um eine umfassende Darstellung der Vermeidungshaltung und der Schwierigkeit der Männer mit dem Eingehen starker emotionaler Bindungen bemüht, weder eine Antwort auf die Frage »Wo sind nur die guten Männer hin?« noch eine Anklageschrift gegen die sexuelle Freiheit als solche. Es ist vielmehr ein Versuch, jene gesellschaftlichen Kräfte zu verstehen, die das emotional ausweichende Verhalten der Männer und die Folgen der sexuellen Freiheit prägen, wobei 429 dieser Versuch nicht davon ausgeht, daß Männer von Haus aus unzulängliche Wesen sind oder daß Freiheit das Endziel unserer Praktiken sein sollte. Wenn, wie viele Menschen glauben, der Freiheitskult im wirtschaftlichen Bereich verheerende Konsequenzen haben kann und auch hat – indem er beispielsweise
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