Warum Liebe Weh Tut
Enttäuschung und der Struktur von Alltag und Intimität, wobei diese Struktur den Übergang von der Vorstellung in den Alltag erschwert und somit Enttäuschung hervorruft; die Rationalisierung von Einbildungskraft und Begehren durch informationsdichte Technologien; sowie die wachsende Autonomie von Begehren und Einbildungskraft, also den Umstand, daß diese zu ihren eigenen Zwecken werden, ohne noch über ein spezifisches Ziel oder Objekt zu verfügen. Die Einbildungskraft als eine kulturelle Praxis ist folglich sowohl hochgradig institutionalisiert als auch hochgradig individualisiert worden und hat sich in eine Eigenschaft zunehmend monadischer Individuen verwandelt, der bestimmte reale Objekte abgehen oder die zumindest Schwierigkeiten hat, sich auf ein einziges Objekt zu konzentrieren. Während die konkreten Beziehungen in wachsen 423 dem Maß anhand von prozeduralen Regeln verstanden und ausgestaltet werden, hat sich die Ausübung der Einbildungskraft somit parallel dazu in eine Form von selbstzweckhaftem Begehren verwandelt – einem Begehren, das sich selbst speist und kaum über die Fähigkeit verfügt, den Übergang von der Phantasie zum normalen Leben zu leisten. Diese Entwicklungen zersetzen die klassische Struktur des Begehrens, die auf dem Willen beruhte, auf ein Objekt gerichtet war und dafür sorgte, daß die Spannungen sowie die Übergänge und der kleine Grenzverkehr zwischen eingebildeten Objekten und der Realität bewältigt werden konnten.
425 Epilog
If I can stop one Heart from breaking
I shall not live in vain
If I can ease one Life the Aching
Or cool one Pain,
Or help one fainting robin
Unto his Nest again
I shall not live in vain.
– Emily Dickinson *
Wenn dieses Buch einen nichtwissenschaftlichen Anspruch hat, dann den, das »Leiden« an der Liebe durch ein Verständnis ihrer gesellschaftlichen Grundlagen »zu lindern«. In der heutigen Zeit läßt sich eine solche Aufgabe überhaupt nur in Angriff nehmen, wenn wir damit aufhören, Individuen, die längst schon mit dem tyrannischen Gebot überlastet sind, ein gesundes und schmerzfreies Liebesleben zu führen, mit Vorschriften und Rezepten zu traktieren. Ich hoffe, gezeigt zu haben, daß die »Angst vor der Liebe« oder das »Übermaß an Liebe«, die Ängste und Enttäuschungen, die so vielen Liebesgeschichten anhaften, ihre Gründe in der sozialen Organisation der Sexualität, der romantischen Wahl und den spezifischen Formen von Anerkennung innerhalb der romantischen Bindung finden.
Doch bevor ich die Natur dieser Veränderungen noch einmal Revue passieren lasse, möchte ich einige mögliche 426 Mißverständnisse ausräumen, die mein Buch ungewollt ausgelöst haben könnte.
Unter keinen Umständen möchte ich behaupten, die moderne Liebe sei per se unglücklich oder die viktorianische Liebe sei besser als unsere beziehungsweise dieser vorzuziehen. Die stilisierten Briefe und Romane vergangener Zeiten haben mir vor allem als analytische Werkzeuge gedient, um die soziologischen Besonderheiten der modernen Situation hervorzuheben, und nicht als normative Meßlatten. Wir sollten darüber hinaus nie vergessen, daß die Frauen in der Vergangenheit zwar mitunter im höchsten Grad verehrt worden sein mögen, sich dabei aber doch in einem Zustand der Abhängigkeit und manchmal der Verzweiflung befanden, dem in keiner Weise nachzutrauern ist. Nicht nur gibt es viele moderne Formen glücklicher Liebe, sondern diese Lieben sind in ihrem Glück nicht weniger modern als in ihren Nöten. Ich habe nicht über sie geschrieben, weil das Glück sehr gut auch ohne die Bemühungen der Wissenschaft auskommt, was sich vom Unglück vielleicht nicht unbedingt sagen läßt. Gleichheit, Freiheit, die Suche nach sexueller Erfüllung, Menschen, die Fürsorglichkeit und Autonomie beweisen, ohne auf die Geschlechtszugehörigkeit zu achten – all dies ist Ausdruck der erfüllten Versprechen moderner Liebe und Intimität. Wenn Männer und Frauen, ob nun in hetero- oder homosexuellen Beziehungen, solche Versprechen erfüllen, dann, so meine ich, sind ihre Beziehungen nicht nur deshalb glücklich, weil sie an die normativen Bedingungen der Moderne angepaßt sind, sondern auch, weil sie Ideale verwirklichen, die denen vergangener Zeiten normativ überlegen sind.
Auch sind die vorangegangenen Seiten zwar aus weiblicher Perspektive geschrieben und erläutern zu einem großen Teil die Dilemmata von Frauen, doch ist damit in keiner Weise die Überzeugung
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