Warum Liebe Weh Tut
Unsicherheit und gewaltige Einkommensunterschiede verursacht –, dann sollten wir nach seinen Folgen auch im persönlichen, emotionalen und sexuellen Bereich wenigstens fragen. Die kritische Untersuchung der Freiheit in einer Sphäre sollte ebenso kritisch auch in anderen Sphären durchgeführt werden. Ein radikaler Geist sollte nicht davor zurückschrecken, die unbeabsichtigten Auswirkungen unserer tiefsten und uns heiligsten Normen und Überzeugungen, also im gegenwärtigen Zusammenhang der Freiheit, zu untersuchen und zu monieren. Hinzu kommt, daß die Freiheit so, wie sie im ökonomischen Bereich Ungleichheiten zugleich verursacht und unsichtbar macht, auch im sexuellen Bereich den Effekt hatte, die gesellschaftlichen Bedingungen zu verschleiern, die die emotionale Herrschaft von Männern über Frauen ermöglichen. Einer der zentralen Punkte, die dieses Buch zu machen versucht, ist ein ziemlich einfacher: Unter den Bedingungen der Moderne verfügen Männer über eine weitaus größere sexuelle und emotionale Auswahl als Frauen, und es ist dieses Ungleichgewicht, das zu ihrer emotionalen Vorherrschaft führt. Zweck dieses Buches ist es folglich, die Soziologie dorthin zu bringen, wo traditionell die Psychologie regiert, und sich um das zu bemühen, was Kultursoziologinnen am besten können, nämlich um den Nachweis, daß noch die verborgensten Winkel unserer Subjektivität von »großen« Gegebenheiten wie der Transformation der Ökologie und Architektur der sexuellen Wahl geprägt sind. Gewöhnliche Erfahrungen emotionalen Leidens – sich ungeliebt oder verlassen zu fühlen, sich mit der Distanziertheit anderer abzuquälen – sind durch die zentralen Institutionen und Werte der Moderne geprägt. 430 Der große Ehrgeiz dieses Buches ist es somit, mit den Gefühlen, zumindest aber mit der romantischen Liebe das zu tun, was Marx mit den Waren getan hat: zu zeigen, daß sie von den gesellschaftlichen Verhältnissen geformt ist; daß sie nicht auf freie und uneingeschränkte Art zirkuliert; daß ihr Zauber ein sozialer Zauber ist; daß sie die Institutionen der Moderne in komprimierter Weise in sich trägt.
Natürlich sollte man den Unterschied zwischen Moderne und Vormoderne nicht überzeichnen; auch vormoderne Männer und Frauen heirateten einander schließlich mit einem gewissen Grad an Freiheit, sie liebten einander, verließen einander und handelten in einem relativen Gefühl von Wahlfreiheit. Wie ich jedoch hoffentlich habe zeigen können, versucht die Soziologie, sich einen Reim auf die Entwicklungsrichtung und die allgemeinen Tendenzen der Kultur zu machen. Sie ist dadurch in der Lage zu behaupten, daß sich über die Subjektivität einzelner Menschen hinaus etwas Grundsätzliches an dieser Freiheit verändert hat, das heißt daran, wie sie in der modernen kulturellen Kategorie der Wahl institutionalisiert wurde. Diese Institutionalisierung wiederum hat die Bedingungen des emotionalen Handels und Tauschs zwischen Männern und Frauen nicht unberührt gelassen. Das romantische Unglück von Männern und Frauen beinhaltet und inszeniert die Rätsel der modernen Freiheit und der modernen Fähigkeit des Wählens. Diese Rätsel sind auf komplexe Weise mit den folgenden Schlüsselprozessen verbunden:
Die Transformation der Ökologie und der Architektur der Wahl : Aus Gründen, die sowohl normativer (die sexuelle Revolution), sozialer (die Schwächung klassen-, rassen- oder ethnisch bedingter Endogamie) und technologischer (die Entstehung des Internet und der entsprechenden Kontaktbörsen) Natur sind, haben sich Partnersuche und Partnerwahl grundlegend gewandelt. Die Idee einer »großen Transformation der Liebe« kann uns als analytisches Werk 431 zeug dienen, um zu erfassen, worin sich die gesellschaftliche Organisation der vormodernen und die der zeitgenössischen Wahl unterscheiden. Der gängigen Meinung zum Trotz habe ich auf den vorangegangenen Seiten argumentiert, daß in der Moderne das Moment der Wahl – als erkenntnisförmige und reflexive Kategorie – viel stärker in den Vordergrund gerückt ist, wenn es darum geht, ein Liebesobjekt zu suchen und zu finden. Daß diese Kategorie so hervorsticht, ist eine Folge des Wandels der Ökologie der Wahl, die sich durch eine Reihe von Elementen charakterisieren läßt: die erhebliche Ausweitung des Angebots, aus dem man wählen kann, den damit einhergehenden Eindruck der Grenzenlosigkeit der eigenen Möglichkeiten und den Umstand, daß es komplexer geworden ist
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