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Warum Liebe Weh Tut

Warum Liebe Weh Tut

Titel: Warum Liebe Weh Tut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Illouz
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in einer widerständigen Welt. Ohne Schmerz durchs Leben zu kommen, heißt, nicht gelebt zu haben.«  [1]
    Das Ziel der Geschlechtergleichheit besteht folglich nicht in gleicher Distanziertheit, sondern in der gleichen Fähigkeit, starke und leidenschaftliche Gefühle zu empfinden. Doch warum überhaupt? Schließlich herrscht kein Mangel an philosophischen oder ethischen Modellen, die zur Mäßigung in allen Dingen und vor allem in den Leidenschaften anhalten. Obwohl das vorliegende Buch die Vorstellung, die Institutionalisierung von Beziehungen sei der einzige praktikable Rahmen zur Ausgestaltung des Gefühls- und Beziehungslebens, rundheraus ablehnt, versteht es die Fähigkeit, auf eine Weise zu lieben, die das Selbst in seiner Gänze mobilisiert, als eine entscheidende Fähigkeit dafür, mit anderen zusammenzukommen und zu gedeihen – und damit als eine wichtige menschliche und kulturelle Ressource. Das Vermögen, aus Beziehungen und Gefühlen einen Sinn zu beziehen, läßt sich meines Erachtens eher bei denjenigen Bindungen antreffen, die das ganze Selbst in Anspruch nehmen und die es ihm ermöglichen, sich auf selbstvergessene Weise auf eine andere Person einzulassen (wie es etwa auch die Modelle idealer Elternschaft oder Freundschaft voraussetzen). Darüber hinaus befreit uns eine leidenschaftliche Liebe von der Ungewißheit und Unsicherheit, die den meisten Interaktionen eigen ist, und stellt in diesem Sinne eine äußerst wichtige Quelle dar, um zu verstehen und zu verwirklichen, was uns wichtig ist.  [2] Diese Art von Liebe strahlt vom Innersten unseres Selbst aus, mobilisiert unseren Willen und vereint eine Vielzahl unserer Begierden. Wie Harry Frankfurt sagt: 439 Wenn wir lieben, dann befreit uns dies von den Einschränkungen und Schwierigkeiten, die damit einhergehen, nicht zu wissen, was wir denken und, wie ich hinzufügen würde, fühlen sollen. Eine leidenschaftliche Liebe beendet diesen Zustand der Unschlüssigkeit, erlöst uns vom »Hemmnis der Unentschlossenheit«.  [3] Diese Art Liebe hilft der Charakterbildung und ist letztlich die einzige, die uns einen Kompaß an die Hand geben kann, um unser Leben zu leben. Der Zustand der Unentschlossenheit darüber, was wir lieben – wie er durch ein Übermaß an Wahlmöglichkeiten, die Schwierigkeit, seine eigenen Gefühle durch Selbstprüfung zu ermitteln, und das Ideal der Autonomie verursacht wird –, verhindert leidenschaftliche Bindungen und verdunkelt letzten Endes für uns selbst, wer wir uns selbst und der Welt gegenüber sind. Aus diesen Gründen kann ich den Kult der sexuellen Erfahrung, der über die kulturelle Landschaft der westlichen Länder hinweggefegt ist, nicht kritiklos hinnehmen, vor allem, weil ich glaube, daß eine solche Form hochgradig warenförmiger sexueller Freiheit der Fähigkeit von Männern und Frauen schadet, intensive, allumfassende Bindungen zu schmieden. Solche Bindungen aber sind es, die uns zu der Einsicht verhelfen, welche Art von Menschen uns wichtig ist.
    Der radikale und der liberale Feminismus müssen sowohl analytisch als auch normativ auf die gegenwärtige Situation reagieren: Da Frauen immer noch nicht dazu bereit sind, der Idee der romantischen Liebe abzuschwören, und da sie Männern auf einem offenen sexuellen Feld begegnen, muß die Akkumulation sexuellen Kapitals diskutiert und hinterfragt werden, um neue Strategien zu ersinnen, wie man mit emotionalen Ungleichheiten umgeht und die umfassenderen sozialen und ethischen Ziele von Frauen verwirklicht. Wir sollten das kulturelle Modell der Akkumulation sexuellen 440 Kapitals gleichermaßen aus der Perspektive einer feministischen wie aus der Perspektive einer kantianischen Ethik hinterfragen. So wie die Neue Frauenbewegung die Fesseln der sexuellen Restriktionen und Repressionen abwarf, ist es heute an der Zeit, den Zustand der Entfremdung und Verstimmung zu überprüfen, den die Wechselwirkung und Überschneidung von Gefühlen, sexueller Freiheit und Ökonomie herbeigeführt hat. Solange die Institutionen der Wirtschaft und der biologischen Reproduktion im Rahmen heterosexueller Familien die Geschlechterungleichheit institutionalisieren, wird die sexuelle Freiheit eine Belastung für Frauen sein. Folglich sollte vor allem die Frage diskutiert werden, wie die Sexualität in einen Verhaltensbereich verwandelt werden könnte, der sowohl vom Gedanken der Freiheit als auch von ethischen Gesichtspunkten bestimmt ist. In ihrem Eifer, Tabus zu beseitigen und

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