Warum Machst Du Mich Nicht Gluecklich
spät von der Kita holte, gab sich Mühe, beim Abendessen ausgleichend zu wirken, wenn Simone ungeduldig war, versuchte, an all die Termine zu denken und an kühlen Tagen nicht zu vergessen, den Kindern Mützen aufzusetzen; er führte die Elterngespräche und kümmerte sich um das Material für die Halloween-Bastelei ... Aber es reichte anscheinend nicht. War er wirklich kein guter Vater? Auch Simone verzweifelte allmählich. Wieso nur hatte sie immer die Rolle der Meckerziege, der ewig Unzufriedenen, die Justin alles verdarb und madig machte? Dabei wollte sie doch nur das Beste für die Kinder. Aber Justins ganze Art weckte immer wieder ihre Zweifel, ob er wirklich zu ihr stand. Manchmal hatte sie den Eindruck, dass sie und die Kinder für ihn nur ein Klotz am Bein waren, etwas, was er pflichtschuldig abarbeitete. Aber sein Herz hing eigentlich an seiner Kunst und seinen Projekten. »Je mehr Sie darum kämpfen, dass Justin wirklich auf Ihrer Seite ist, Sie unterstützt und Sie gemeinsam das tun, was für die Kinder das Beste scheint, desto mehr zweifeln Sie daran, dass das, was Sie bekommen, echt ist«, sagte ich nachdenklich zu ihr. »Das muss furchtbar sein: Wenn Justin die Dinge tut, die Sie von ihm brauchen, glauben Sie, dass er es nur auf Ihre Aufforderung hin macht, nicht weil er es will. Und wenn er nicht auf Ihre Wünsche eingeht, beweist das für Sie erst recht, dass ihm Ihre Bedürfnisse anscheinend nicht wichtig sind.« Simone nickte mit Tränen in den Augen. Wie schon im Kapitel »Erwartungen und Forderungen« wird auch am Beispiel von Justin und Simone deutlich, dass es kein Gewinn ist, aus einer solchen Auseinandersetzung als Sieger hervorzugehen. Denn gleichgültig, ob dieser Versuch erfolgreich ist oder nicht, haben auf einer anderen Ebene anschließend beide verloren. Erhält der eine, worum er gekämpft hat, so bleibt doch der Zweifel, ob es wirklich von Her zen kommt oder nicht eher mecha nisch und wider willig gegeben wird. Und derjenige, der nachgibt, stellt enttäuscht fest, dass selbst sein großes Zugeständnis das Problem nicht löst. Wie soll man auch glauben, dass ein Ja wirklich ehrlich gemeint ist, wenn man weiß, dass der andere nicht Nein sagen kann? Doch wenn er jedes Mal nachgibt und uns durch seelenloses Funktionieren zu beruhigen sucht, dann spüren wir die Leere dahinter und bleiben unzufrieden, ganz gleich wie groß sein Zugeständnis ist. Und fürchten insgeheim den Moment, wenn bei ihm nichts mehr geht.
Die chinesische Nachtigall
Diese Geschichte beschreibt die Vorteile eines berechenbar und automatisch funktionierenden Partners ohne eigenen Willen. Doch sie weist auch auf die Gefahr hin, dass dadurch die Liebe Schaden erleidet und man am Ende allein dasteht.
Der Kaiser von China hatte einen Palast, der war sehr prächtig, aber sein Garten war voller Wunder. Die schönsten Blumen blühten darin, und das Beste war eine Nachtigall, die so schön sang, dass jeder, der sie hörte, sich getröstet fühlte. Eines Tages bekam der Kaiser ein Paket, und darin lag ein Vogel aus Gold, geschmückt mit Juwelen, den konnte man aufziehen, und er wurde nicht müde, dasselbe Lied ein ums andere Mal zu singen. Da freute sich der Kaiser, denn er hatte das Aussehen der kleinen grauen Nachtigall immer als etwas gewöhnlich gefunden. Seine Ratgeber nickten und sprachen, dass der mechanische Vogel doch viel zuverlässiger sei als die Nachtigall, bei der man nie wisse, wann und was sie singen werde. Und sie lauschten erneut dem Gesang des Automaten, während die echte Nachtigall bereits durch das Fenster weit fort in den Wald geflogen war. Doch eines Tages schnarrte der mechanische Vogel und verstummte. Nichts konnte ihn wieder zum Singen bewegen. Da wurde das Herz des Kaisers schwer und er wurde blass und krank. Schließlich saß der Tod auf seiner Brust und zählte ihm alle guten und schlechten Taten auf, die er im Leben begangen hatte. Da ertönte plötzlich vom Fenster ein köstlicher Gesang. In das Gesicht des Kaisers kehrte das Leben zurück und selbst der Tod hielt inne, um zu lauschen. Schließlich erhob sich der Kaiser frisch und gesund von seinem Krankenlager und sprach: »Du kleiner Vogel, bleibe bei mir, ich will dich mit Reichtümern überschütten.« Doch die Nachtigall antwortete: »Ich brauche deine Reichtümer nicht. Ich habe Tränen in deinen Augen gesehen, und das ist der wahre Lohn des Sängers. Gern will ich in deinem Garten nisten und dir manchmal am Abend ein Lied singen,
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