Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
vollständiges Machtvakuum, und zwischen den Vertretern der unterschiedlichen Lager brach ein Kampf aus. Die Viererbande wollte die Politik der Kulturrevolution fortsetzen, um ihre eigene Macht und die der Kommunistischen Partei zu konsolidieren. Hua wollte die Kulturrevolution hinter sich lassen, aber er konnte sich nicht zu sehr von ihr distanzieren, weil er ihr seinen eigenen Aufstieg verdankte. Deshalb befürwortete er die Rückkehr zu einer ausgewogeneren Variante von Maos Ideologie, die er 1977 in der Volkszeitung als »Zwei Trotzdem-Prinzipien« zusammenfasste. Hua erläuterte: »Alle politischen Entscheidungen und Anweisungen des Vorsitzenden Mao müssen wir weiter voll und ganz durchführen und sie immer treu befolgen.«
Deng Xiaoping wollte das kommunistische Regime genauso wenig wie Hua abschaffen und durch inklusive Märkte ersetzen. Auch er gehörte zu denen, die durch die kommunistische Revolution an die Macht gelangt waren. Aber seine Anhänger und er glaubten, dass sie ein beträchtliches Wirtschaftswachstum erzielen konnten, ohne ihre politische Kontrolle zu gefährden. Sie dachten an ein Wachstumsmodell unter extraktiven politischen Institutionen, das ihre Macht nicht bedrohen würde, da jegliche nennenswerte Opposition gegen die Kommunistische Partei unter Maos Herrschaft und während der Kulturrevolution beseitigt worden war. Aber um dem chinesischen Volk die dringend benötigte Verbesserung seines Lebensstandards zu verschaffen, planten sie, nicht nur die Kulturrevolution, sondern auch den größten Teil von Maos institutionellem Vermächtnis zurückzuweisen. Wirtschaftswachstum würde, wie sie begriffen hatten, nur durch eine deutliche Annäherung an inklusive Institutionen möglich sein. Zu diesem Zweck mussten die Wirtschaft reformiert und die Rolle der Marktkräfte und -anreize verstärkt werden. Außerdem wollten sie wieder ein gewisses Maß an Privateigentum zulassen und den Einfluss der Kommunistischen Partei auf die Gesellschaft und die Regierung verringern, indem sie Begriffe wie den des Klassenkampfs ausmusterten. Dengs Gruppe war zudem gegenüber Auslandsinvestitionen aufgeschlossen und befürwortete eine aggressivere Einbindung in den internationalen Handel. Aber es gab Grenzen, und der Aufbau wahrhaft inklusiver Wirtschaftsinstitutionen sowie eine erhebliche Lockerung der ökonomischen Kontrolle durch die Kommunistische Partei standen nicht zur Debatte.
Der Wendepunkt für China wurde durch Hua Guofengs Machtübernahme und seine Bereitschaft, gegen die Viererbande vorzugehen, gekennzeichnet. Innerhalb eines Monats nach Maos Tod ließ er die Viererbande verhaften, und 1977 setzte er Deng wieder in dessen politische Ämter ein. Nichts war unvermeidlich an diesem Lauf der Ereignisse oder den nächsten wichtigen Schritten, die dazu führten, dass Hua von Deng Xiaoping ausmanövriert wurde. Deng rief zur Kritik an der Kulturrevolution auf und ließ auf allen Ebenen der Kommunistischen Partei Personen nachrücken, die wie er in jener Zeit gelitten hatten. Hua konnte sich nicht von der Kulturrevolution lossagen, was seine Position schwächte. Zudem war er vergleichsweise neu im Machtzentrum, und ihm fehlte das Beziehungsnetz, das Deng über viele Jahre hinweg geknüpft hatte. Dann begann Deng, die Politik des Parteivorsitzenden zu kritisieren. Im September 1978 attackierte er Huas »Zwei Trotzdem-Prinzipien« und betonte, dass es weniger darauf ankomme, an Maos Weisungen festzuhalten, als darauf, »die Wahrheit aus den Fakten herauszuarbeiten«.
Deng verstand sich auch glänzend darauf, öffentlichen Druck auf Hua auszuüben. Dies zeigte sich am deutlichsten an der Demokratiemauer-Bewegung von 1978, bei der die Bürger Klagen über das Regime auf eine Mauer in Beijing schrieben. Im Juli 1978 legte Hu Qiaomu, der Deng sonst eher kritisch gegenüberstand, einige Grundüberlegungen für eine Wirtschaftsreform vor. Dazu gehörte der Gedanke, dass Firmen mehr Freiheit bei den Produktionsentscheidungen haben sollten. Die Preise hätten sich nach Angebot und Nachfrage zu richten, statt von der Regierung festgelegt zu werden, und überhaupt solle der Staat die Wirtschaft in geringerem Maße regulieren.
Es waren radikale Vorschläge, doch die von Deng eingeleitete Kritik an dem von Mao geschaffenen System gewann immer mehr Einfluss. Im November und Dezember 1978 fand auf der Dritten Plenarsitzung des Elften Parteikomitees ein Durchbruch statt. Gegen Huas Einwände beschloss man, dass sich die
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