Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
haben, unter extraktiven Institutionen möglich und könnte sogar das wahrscheinlichste Szenario für etliche Staaten sein: von Kambodscha und Vietnam bis hin zu Burundi, Äthiopien und Ruanda. Aber unsere Untersuchungen weisen auch darauf hin, dass es, wie alle anderen Beispiele des Wachstums unter extraktiven politischen Institutionen, nicht nachhaltig sein wird.
Im Fall Chinas dürfte sich der Wachstumsprozess, der auf Nachholbedarf, der Einfuhr ausländischer Technologien und der Ausfuhr billiger Fertigungsprodukte beruht, noch eine Weile fortsetzen. Trotzdem wird er wahrscheinlich enden, sobald China den Lebensstandard eines Landes mit mittlerem Einkommen erreicht hat. Andererseits könnte es der Kommunistischen Partei und der zunehmend einflussreichen chinesischen Wirtschaftselite gelingen, die Macht auch in den kommenden Jahrzehnten fest im Griff zu behalten. In diesem Fall deuten die Geschichte und unsere Theorie darauf hin, dass ein Wachstum mit schöpferischer Zerstörung und wahrer Innovation ausbleiben wird und dass die spektakulären Wachstumsraten allmählich zurückgehen dürften. Aber eine solche Situation ist keineswegs vorherbestimmt, und sie kann vermieden werden, wenn China zu inklusiven politischen Institutionen überwechselt, bevor sein Wachstum unter dem extraktiven System seine Grenze erreicht hat. Nichtsdestoweniger gibt es, wie wir im Folgenden zeigen werden, kaum einen Grund zu der Annahme, dass der Übergang zu inklusiveren politischen Institutionen in China wahrscheinlich ist oder dass er sich automatisch und reibungslos vollziehen wird.
Sogar innerhalb der Kommunistischen Partei äußern sich einige über die vor China liegenden Gefahren und lassen den Gedanken laut werden, dass eine politische Reform – also ein Übergang zu inklusiveren politischen Institutionen, um unsere Terminologie zu benutzen – erforderlich sei. Zum Beispiel warnte der mächtige Ministerpräsident Wen Jiabao kürzlich davor, dass das Wirtschaftswachstum ohne eine Reform ins Stocken geraten könne. Wir halten Wens Analyse für weitblickend, obgleich manche an seiner Aufrichtigkeit zweifeln.
Viele im Westen stimmen jedoch nicht mit Wen überein, denn ihrer Meinung nach befindet sich China auf einem alternativen Weg zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum, der nicht von inklusiven wirtschaftlichen und politischen Institutionen, sondern vom Autoritarismus bestimmt wird. Aber sie irren sich, denn die entscheidende Ursache des chinesischen Erfolgs ist bereits unverkennbar: ein radikaler Wandel der Wirtschaftsinstitutionen von einer starr kommunistischen Einstellung hin zu einer Haltung, die Anreize für eine erhöhte Produktivität und für den Handel setzt. Daher gibt es keinen grundlegenden Unterschied zwischen China und anderen Staaten, denen es, ebenfalls unter einem extraktiven politischen System, gelungen ist, sich inklusiven Wirtschaftsinstitutionen anzunähern. Mithin hat China sein Wirtschaftswachstum nicht dank, sondern trotz seiner extraktiven politischen Institutionen erzielt. In den vergangenen drei Jahrzehnten hat es sich radikal von extraktiven ab- und erheblich inklusiveren Wirtschaftsinstitutionen zugewandt, was durch die Existenz überaus autoritärer, extraktiver politischer Institutionen nicht erleichtert, sondern erschwert wurde.
Andere Befürworter des autoritären Wachstums räumen dessen unschönen Charakter ein, behaupten jedoch, der Autoritarismus sei nur eine vorübergehende Phase. Diese Meinung geht auf eine der klassischen Theorien der politischen Soziologie zurück, nämlich auf die Modernisierungstheorie von Seymour Martin Lipset. Sie besagt, dass sich sämtliche Gesellschaften während des Wachstums auf eine modernere, höher entwickelte und zivilisiertere Existenz, insbesondere auf die Demokratie, zubewegen würden. Viele Vertreter der Modernisierungstheorie behaupten auch, dass inklusive Institutionen ebenso wie die Demokratie Nebenprodukte des Wachstumsprozesses seien. Und obwohl man Demokratie und inklusive politische Institutionen nicht gleichsetzen könne, sei die Entwicklung der Letzteren durch regelmäßige Wahlen und einen relativ unbehinderten politischen Wettbewerb sehr wahrscheinlich.
Anderen Versionen der Modernisierungstheorie zufolge geben gut ausgebildete Arbeitskräfte automatisch den Anstoß zur Entstehung von Demokratie und besseren Institutionen. In einer geradezu postmodernen Variante der Theorie behauptete Thomas Friedman, Kolumnist der New York Times ,
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