Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)
industrialisierten Staaten der Welt und hatten relativ gut ausgebildete Bürger. Das konnte den Aufstieg der NSDAP in Deutschland und eines militaristischen, kriegslüsternen und nach Gebietserweiterung strebenden Regimes in Japan jedoch nicht verhindern – wodurch ihre politischen und wirtschaftlichen Institutionen eine scharfe Wende zur Extraktivität vollzogen. Auch Argentinien war im 19. Jahrhundert eines der reichsten Länder der Welt (mindestens ebenso wohlhabend wie Großbritannien), weil es von dem weltweiten Bodenschatzboom profitierte; daneben besaß es die am besten ausgebildete Bevölkerung in Lateinamerika. Aber Demokratie und Pluralismus waren in Argentinien nicht erfolgreicher als in den übrigen Teilen des Kontinents. Ein Putsch folgte dem anderen, und sogar demokratisch gewählte Staatschefs benahmen sich kaum anders als raubgierige Diktatoren. Auch in jüngerer Vergangenheit ist es kaum zu Fortschritten in Richtung inklusiver Wirtschaftsinstitutionen gekommen, und sogar im 21. Jahrhundert sind die argentinischen Regierungen immer noch in der Lage, ihre Bürger ungestraft zu enteignen.
All das verhilft uns zu mehreren wichtigen Einsichten. Erstens wird das Wachstum in China unter autoritären, extraktiven politischen Institutionen, auch wenn es sich noch eine Zeitlang fortsetzt, keine Nachhaltigkeit erreichen, die auf der Unterstützung durch wahrhaft inklusive Wirtschaftsinstitutionen und schöpferische Zerstörung basiert. Zweitens sollten wir, entgegen den Behauptungen der Modernisierungstheorie, nicht damit rechnen, dass autoritäres Wachstum zu Demokratie oder zu inklusiven politischen Institutionen führen wird. China, Russland und mehrere andere autoritäre Regime erleben gegenwärtig ein gewisses Wachstum, das jedoch an seine Grenzen stoßen dürfte, bevor sie ihre politischen Institutionen inklusiver gestalten. Wahrscheinlich ist die Elite kaum an einem derartigen Wandel interessiert, und es gibt auch keine starke Opposition, die solche Veränderungen durchsetzen könnte. Drittens ist autoritäres Wachstum auf lange Sicht weder wünschenswert noch lebensfähig und sollte deshalb nicht von der internationalen Gemeinschaft als akzeptables Leitbild für Staaten in Lateinamerika, Asien und im subsaharischen Afrika betrachtet werden, auch wenn viele diesen Weg genau deshalb einschlagen werden, weil er den Interessen ihrer wirtschaftlichen und politischen Eliten entspricht.
Wohlstand lässt sich nicht konstruieren
Im Unterschied zu der Theorie, die wir in diesem Buch entwickelt haben, hält die Ignoranz-Hypothese einen Vorschlag bereit, wie das Problem der Armut zu lösen sei: Wenn Ignoranz für unseren jetzigen Zustand verantwortlich ist, dann können uns aufgeklärte, gut informierte Herrscher und politische Entscheidungsträger aus der Patsche helfen, und wir sollten fähig sein, überall auf der Welt Wohlstand zu konstruieren, indem wir den richtigen Rat erteilen und Politiker von den Vorzügen einer leistungsfähigen Wirtschaft überzeugen. Als wir diese Hypothese im zweiten Kapitel behandelten, gingen wir auf die Erfahrungen des ghanesischen Premierministers Kofi Busia Anfang der 1970er Jahre ein. Sie bestätigten, dass das Haupthindernis für die Durchführung von Maßnahmen, die Marktfehlschläge verringern und Wirtschaftswachstum fördern, nicht in der Ignoranz von Politikern besteht, sondern in den Anreizen und Zwängen, die von den jeweiligen politischen und wirtschaftlichen Institutionen ausgehen. Gleichwohl hat die Ignoranz-Hypothese immer noch Vorrang in den Kreisen westlicher Entscheidungsträger, die sich fast ausschließlich mit der Frage beschäftigen, wie man Wohlstand erzeugen kann.
Diese Konstruktionsversuche treten in zweierlei Gestalt auf. In der ersten Variante, häufig befürwortet von Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds, wird eingeräumt, dass eine dürftige Entwicklung durch eine schlechte Wirtschaftspolitik und ungeeignete Institutionen verursacht wird. Danach schlagen die internationalen Organisationen eine Reihe von Verbesserungen vor, die von den armen Ländern umgesetzt werden sollen (der Washingtoner Konsens hat eine dieser Listen hervorgebracht). Bei den Verbesserungen konzentriert man sich auf vernünftige Dinge wie die makroökonomische Stabilität und dem Anschein nach attraktive makroökonomische Ziele, beispielsweise eine Verringerung des Verwaltungsapparats, flexible Wechselkurse und die Liberalisierung des Kapitalverkehrs. Hinzu
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