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Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)

Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)

Titel: Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daron Acemoglu , James A. Robinson
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Der Linksintellektuelle Fernando Henrique Cardoso, der wie Lula dazu bestimmt war, nach der Wiederherstellung der Demokratie Präsident zu werden, erklärte 1973, in Brasilien könne ein demokratisches System durch das Zusammenwirken der vielen sozialen Gruppen, die das Militär ablehnten, geschaffen werden. Dazu benötige man eine »reaktivierte Bürgergesellschaft … die Berufsverbände, die Gewerkschaften, die Kirchen, die Studentenvereinigungen und die Debattierclubs sowie die Gesellschaftsbewegungen« – mit anderen Worten, eine breite Koalition mit dem Ziel, die Demokratie wiedererstehen zu lassen und die brasilianische Gesellschaft umzuwandeln.
    Durch den Scânia-Streik kündigte sich die Bildung einer solchen Koalition an. Ende 1978 stellte Lula die Idee in den Raum, eine neue politische Partei, die Arbeiterpartei, zu gründen. Ihr sollten, wie Lula forderte, jedoch nicht nur Gewerkschaftler angehören, sondern auch sämtliche Lohnempfänger und die Armen generell. Die Versuche der Gewerkschaftsführer, ein politisches Programm zu entwickeln, fanden bei den vielen neuen Gesellschaftsbewegungen Anklang. Am 18. August 1979 wurde in São Paulo eine Versammlung abgehalten, auf der über die Gründung der Arbeiterpartei diskutiert werden sollte. Dazu kamen Oppositionspolitiker, Gewerkschaftsführer, Studenten, Intellektuelle und Vertreter von hundert Gesellschaftsbewegungen zusammen, die sich in den 1970er Jahren in ganz Brasilien herausgebildet hatten. Die Arbeiterpartei, die man im Oktober 1979 im Restaurant São Judas Tadeo in São Bernardo gründete, sollte all diese unterschiedlichen Gruppen repräsentieren.
    Die Partei profitierte rasch von der politischen Öffnung, die das Militär widerwillig zuließ. Bei den Kommunalwahlen von 1982 stellte sie zum ersten Mal Kandidaten auf und errang zwei Bürgermeisterposten. Das ganze Jahrzehnt hindurch übernahm die Arbeiterpartei, während in Brasilien allmählich ein Prozess der Demokratisierung begann, immer mehr Kommunen. 1988 hatte sie bereits sechsunddreißig Verwaltungen unter sich, auch die von Großstädten wie São Paulo und Porto Alegre. 1989, in der ersten freien Präsidentschaftswahl seit dem Militärputsch, errang Lula als Kandidat der Arbeiterpartei im ersten Wahlgang 16 Prozent der Stimmen. In der Stichwahl mit Fernando Collor brachte er es auf 44 Prozent.
    Nach der Übernahme zahlreicher Ortsverwaltungen – ein Prozess, der sich in den 1990er Jahren beschleunigte – ging die Arbeiterpartei eine symbiotische Beziehung mit vielen lokalen Gesellschaftsbewegungen ein. In Porto Alegre führte die erste Administration der Arbeiterpartei nach 1988 »Beteiligungshaushalte« ein, einen Mechanismus, der es gewöhnlichen Bürgern erlaubte, die Ausgabenprioritäten der Stadt mitzubestimmen. So entstand ein System, das zum internationalen Vorbild für die Rechenschaftspflicht und die Gesprächsbereitschaft von Lokalverwaltungen geworden ist. Damit einher gingen gewaltige Verbesserungen der öffentlichen Dienstleistungen und der städtischen Lebensqualität. Die erfolgreiche Regierungsstruktur der Partei auf Ortsebene bewirkte nun auch auf nationaler Ebene eine stärkere politische Mobilisierung und politische Erfolge. Während Lula in den Wahlen von 1994 und 1998 Fernando Henrique Cardoso unterlag, wurde er 2002 schließlich zum Präsidenten Brasiliens gekürt. Seitdem ist die Arbeiterpartei an der Macht.
    Die Bildung einer breiten Koalition durch das Bündnis zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsbewegungen und den Gewerkschaften hat bemerkenswerte Auswirkungen auf die brasilianische Wirtschaft gehabt. Seit 1990 ist ein zügiges Wachstum zu beobachten, und der Anteil der in Armut lebenden Bevölkerung ist von 45 auf 30 Prozent im Jahr 2006 gefallen. Die Ungleichheit, die sich unter der Militärherrschaft rasch erhöht hatte, ist stark zurückgegangen, besonders nach der Machtübernahme durch die Arbeiterpartei. Auch der durchschnittliche Schulbesuch hat sich zwischen 1995 und 2006 von sechs auf acht Jahre erhöht. Mittlerweile gehört das Land zu den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China), und Brasilien hat als erster Vertreter Lateinamerikas in internationalen Diplomatenkreisen Einfluss.

    Der Aufstieg Brasiliens seit den 1970er Jahren wurde nicht von den Wirtschaftsexperten internationaler Institutionen bewerkstelligt, indem sie die brasilianischen Entscheidungsträger darin unterwiesen, bessere politische Maßnahmen zu ergreifen

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