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Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)

Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition)

Titel: Warum Nationen scheitern: Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daron Acemoglu , James A. Robinson
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vom Rat der Vierzig, wenn auch mit nur zwölf Stimmen, gutgeheißen werden. Nach dem 11. September 1298 bedurften amtierende Mitglieder und ihre Familien nicht mehr der Bestätigung. Der Große Rat war nun Außenstehenden wirksam verschlossen, und die Amtsinhaber waren zu einer Erbaristokratie geworden. Diese Verhältnisse wurden 1315 durch das Libro d’Oro (»Goldenes Buch«), ein offizielles venezianisches Adelsverzeichnis, besiegelt.
    Die von der aufkeimenden Aristokratie ausgeschlossenen Bewerber verzichteten nicht kampflos auf ihre Aufstiegschancen. Zwischen 1279 und 1315 verschärften sich die politischen Spannungen in Venedig stetig. Der Große Rat reagierte teils dadurch, dass er sich erweiterte. Indem er seine ärgsten Widersacher aufnahm, erhöhte sich seine Mitgliedschaft von 450 auf 1500 Männer. Gleichzeitig kam es zu Repressionen. Im Jahr 1310 wurde die erste Polizeitruppe gegründet, und die internen Zwangsmaßnahmen nahmen kontinuierlich zu, womit unzweifelhaft die neue politische Ordnung untermauert werden sollte.
    Nach der Realisierung der politischen serrata machte sich der Große Rat daran, eine ökonomische serrata zu verhängen. Dem Wechsel zu extraktiven politischen Institutionen folgte nun ein Schritt in Richtung extraktiverer Wirtschaftsorgane. Vor allem wurden commenda -Verträge – eine der großen institutionellen Neuerungen, durch die Venedig zu Reichtum gelangt war – verboten. Das sollte nicht verwundern, denn die commenda begünstigte noch nicht etablierte Kaufleute, welche die Elite nicht nachrücken lassen wollte. Damit kam man den extraktiven Wirtschaftsinstitutionen noch näher. Ein weiterer Schritt wurde 1314 unternommen, als Venedig den Handel verstaatlichte. Es setzte dafür nun Staatsgaleeren ein und erhob hohe Steuern für die einzelnen Händler. Der Fernhandel wurde damit zur Domäne des Adels, was den Anfang vom Ende des venezianischen Wohlstands bedeutete. Da die immer kleiner werdende Elite ein Monopol für die Hauptgeschäftsbereiche hatte, war der Verfall nicht mehr aufzuhalten.
    Venedig hatte anscheinend kurz davor gestanden, die erste inklusive Gesellschaft der Welt zu werden, doch es fiel einem Putsch zum Opfer. Die politischen und wirtschaftlichen Institutionen wurden extraktiver, und der ökonomische Niedergang verstärkte sich. Im Jahr 1500 war die Bevölkerung auf hunderttausend Menschen gesunken. Zwischen 1650 und 1800, als das übrige Europa zahlenmäßig wuchs, schrumpfte Venedig weiter.
    Heutzutage ist der Tourismus neben ein wenig Fischfang der einzige noch vorhandene Wirtschaftszweig Venedigs. Statt Handelsrouten zu erschließen und neue Wirtschaftsinstitutionen zu gründen, stellen die Venezianer Pizza und Eiscreme her und blasen Buntglas für die Massen von Ausländern. Die Touristen besichtigen die vor der serrata entstandenen Wunder von Venedig, beispielsweise den Dogenpalast oder die Pferde des Markusdoms, die aus Byzanz geraubt wurden, als Venedig das Mittelmeer beherrschte. Inzwischen ist es von einer bedeutenden Wirtschaftsmacht zu einem Museum geworden.

    In diesem Kapitel konzentrieren wir uns auf die historische Entwicklung von Institutionen in mehreren Teilen der Welt und erklären, warum sie sich unterschiedlich entfalteten. Im vierten Kapitel haben wir dargestellt, wie die westeuropäischen Institutionen von den osteuropäischen divergierten und welch andere Entwicklung die englischen Institutionen nahmen. Dies war auf kleine Anfangsunterschiede zurückzuführen, die sich zumeist aus der Wechselwirkung zwischen institutioneller Entwicklungsrichtung und Umbruchphasen herausgebildet hatten. Deshalb könnte es verlockend sein zu glauben, dass die institutionellen Unterschiede die Spitze eines historischen Eisbergs sind, unter dessen Wasserlinie englische und kontinentaleuropäische Institutionen infolge einer jahrtausendealten Geschichte unaufhaltsam von den Einrichtungen in anderen Regionen fortdriften.
    Das trifft allerdings nicht zu, und zwar aus zwei Gründen: Erstens können Entwicklungen in Richtung inklusiver Institutionen umschlagen, wie unsere Untersuchung der Geschichte Venedigs gezeigt hat, das seinen anfänglichen Reichtum durch den Umsturz seiner politischen und wirtschaftlichen Institutionen wieder verlor. Heute ist Venedig nur deshalb vermögend, weil Menschen, die ihr Geld anderswo verdienen, es dort ausgeben und den Ruhm seiner Vergangenheit bewundern. Es gibt keinen sich automatisch fortsetzenden Prozess des

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