Warum tötest du, Zaid?
Übersteiger, den der deutsche Nationalspieler Bastian Schweinsteiger in höchster Perfektion beherrscht.
Ich habe ihn mir wenige Wochen zuvor im Englischen Garten in München von meinem sechzehnjährigen türkischstämmigen Fußballkumpel Enis erklären lassen. Zumindest in der Theorie beherrsche ich ihn perfekt: Mit dem rechten Fuß macht man von innen nach außen eine kreisförmige Bewegung über den Ball, danach das Gleiche mit dem linken Fuß – und dann nichts wie am Gegner vorbei!
Ali schaut mir fasziniert zu. Er hält mich offenbar für einen tollen Trainer. Meine Bewegungen sind so langsam, dass selbst Vierjährige sie verstehen. Die drei älteren Jungs – alle sind Neffen Abu Saeeds – amüsieren sich köstlich. Einer von ihnen fragt, ob er Ali den Trick ebenfalls einmal zeigen dürfe. Und dann macht auch er den »doppelten Schweinsteiger«, nur etwa dreimal so schnell wie ich.
Ali schaut mich fragend an. Ich versuche ihm über seinen Vater zu erklären, dass das eben die Schnellausgabe des doppelten Übersteigers sei. Dann spielen die Jungs weiter. Ali und ich schauen zu. Ali findet mich noch immer okay, denn er kann den gezeigten Trick auch nicht schneller als ich.
Einer der Neffen Abu Saeeds spielt besonders brillant. Es ist der, der Ali die Schnellausgabe des »doppelten Schweinsteiger« gezeigt hat. Ich frage Abu Saeed, wer der
hochgewachsene, trickreiche Junge sei. Abu Saeed erwidert schmunzelnd, das sei Zaid.
Zaid? Zaid, der Widerstandskämpfer? Einen Augenblick muss ich nach Luft schnappen. Das also ist der junge Mann, der es nicht übers Herz gebracht hatte, einen Sprengsatz zu zünden, weil ein alter Mann in der Nähe war? Erstaunt reibe ich mir die Augen. So hatte ich mir einen irakischen Widerstandskämpfer nicht vorgestellt.
Am Ende des Spiels gibt es ein Elfmeterschießen – aus etwa sechs Metern. Das Tor ist ein altes Metallbett. Zaid steht im Tor. Die eine Hälfte der Jungs schießt daneben, die anderen Bälle hält Zaid mit tollen Reflexen. Nachdem alle einmal geschossen haben, ruft Zaid mir zu, ich solle es doch auch einmal probieren.
Im Elfmeterschießen bin ich besonders schlecht. Außerdem trage ich noch immer meine bis zu den Knöcheln reichende Dishdasha und habe wenig Lust, mich lächerlich zu machen. Aber da mich alle bitten, mache ich gute Miene zum bösen Spiel.
Ich lege mir den Ball hin, laufe zwei Meter an – in meinem nachthemdartigen Gewand sicher ein seltsames Bild – und haue drauf. Ich merke, wie beim Schießen meine Dishdasha bis zum Knie reißt, und denke: »So ein Mist, warum hast du das nicht bleiben lassen?«
Doch dann sehe ich, dass der Ball direkt neben dem linken Bettpfosten eingeschlagen hat. Er ist drin! Die kleinen Jungs jubeln und verspotten lachend die großen. Zaid holt ungläubig den Ball aus den Drahtfedern des Betts heraus. Er will Revanche und fordert mich auf, noch einmal zu schießen. Aber ich denke nicht daran. Man soll sein Glück nicht überstrapazieren.
Inzwischen treiben auf dem Nachbargrundstück zwei kleine Jungen eine blökende Schafherde ins Gehege. Der Muezzin ruft zum Abendgebet. Die Männer, Abu Saeed,
Abu Hamid und ihre Neffen einschließlich Zaid, holen Nomadenteppiche aus dem Haus und beginnen gemeinsam zu beten. Abu Saeed betet vor. Der kleine Ali steht ehrfurchtsvoll neben seinem Vater und versucht, jede seiner Bewegungen nachzumachen.
Hinter dem Haus kochen die Frauen des Hauses auf einem selbst gebauten, mit Holz befeuerten Lehmofen zwei Hühnchen, die sie während des Fußballspiels gerupft haben. Den viel moderneren Gasofen, der daneben steht, können sie nicht mehr benutzen. Der Inhalt einer etwa 60 Zentimeter hohen Gasflasche, der zu Zeiten Saddam Husseins 12 Cent gekostet hat, schlägt jetzt mit 20 Dollar zu Buche. Das kann sich Abu Saeed, wie die meisten Einwohner Ramadis, nicht leisten. Ein Land, das auf Öl schwimmt, kann seine eigene Bevölkerung nicht mehr mit Energie versorgen.
Den selbst gebauten Lehmofen nennen die Frauen sarkastisch »Bush-Ofen«. »Danke, Mister Bush«, sagt eine der Frauen lachend, »wir wollten schon immer einmal wissen, wie man im Mittelalter gekocht hat.« Trotz der eingeschränkten Kochmöglichkeiten gelingt es den Frauen, eine leckere Brühe, zwei zarte Hühner, Okraschoten und Curry auf das auf dem Rasen ausgebreitete Tischtuch zu zaubern.
Männer und Frauen essen, der Landessitte entsprechend, getrennt. Die etwa zehn Meter entfernt sitzenden Frauen amüsieren sich offenbar
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